Die Ruhelosen
gelber abgestoßener Plüsch, goldene Zierbenagelung, akkurat ins Holz geklöpfelt. Zurückgelehnt, die gesprenkelten Bernsteinaugen auf Aude gerichtet und von schwarzen buschigen Augenbrauen beschützt, nur sie und der massive Schnauzer hatten die ursprüngliche Farbe behalten, seine Koteletten und der Haarkranz waren schon weiß, Leberflecken auf der hohen runden Stirn und unterhalb der Augen, auf den Händen, Fingern, die, Aude sah es, leise über die Saiten tippten. Abel Ditrich, Wunderkind, Vollblutmusiker, in weißem Hemd und beiger Gabardinehose, und jetzt fiel es ihr zum ersten Mal auf, sie hatte seine Nase in weiblicher Ausführung, ebenso gerade und nach unten gebogen, mit den beiden runden Flügelchen, die bei innerer Unruhe zu beben begannen, auch bei ihm, und dann verfing sie sich wieder in seinem Blick, der leise lächelnd auf ihr ruhte wieeine Hand, an eine Wange gebettet. Der Erwachsene und das Kind, Sprung der Generationen, Heimatgefühl, das sie nur bei ihm so kannte.
»Alors, écoute, deine Omama ist eine halbe Adlige. Ihr Vater stammt aus der k. u. k. Monarchie, seine Vorfahren kommen alle irgendwo aus Ungarn. Und er hat Mondaine oft mitgenommen und in die High Society eingeführt; meine Mondaine ist auf Schlössern ein und aus gegangen, von denen können wir beide nur träumen, n’est-ce pas!«
»Aber die Servietten?«
»Attends, das ist eine ganz besondere Geschichte. Ich kann sie dir auch nicht richtig erzählen, am besten wäre es, sie würde es dir zeigen. Dann wüsstest du, was ich meine.« Er machte ein bedeutsames Gesicht, seine Augen groß und rund. »Mondaine hatte sich immer ganz fürchterlich daran gestoßen, dass die hohen Leute ihre Bediensteten mit Esel, Affe, Hund und Ähnlichem ansprachen. Und so ging sie manchmal von sich aus in die Küche und half aus. Das gab ihr eine gewisse, comment-dit, Seelenruhe. Alors, da war sie und faltete Servietten.« Wieder machte er eine Pause und lächelte Audes Stummheit einen überlegenen Frohmut entgegen. »Einmal, da half sie beim Eindecken. Sie hatte diesen ungeheuren Stapel von Porzellantellern in der Hand vor ihre Brust gepresst und stand auf der einen Seite des Tisches. Da plötzlich muss es sie wohl überkommen haben, und sie rief dem Kellner auf der anderen Seite zu: Hopp, fass!, und warf ihm Teller um Teller längs über die ganze Tafel zu. Keiner zerbrach, alle wurden Stück für Stück aufgefangen, aber das Lachen war weit hinaus hörbar, und es muss eine ganz fürchterliche Szene für Mondaine gegeben haben.«
»Und für den Kellner?«
»Eh bien, der Kellner …«
In diesem Moment hörten die beiden die Türe gehen, Mondaine kam nach Hause. Wie üblich küssten sich ihreGroßeltern auf den Mund, nannten sich Papeli und Mameli, fragten einander, wie man die letzten Stunden verbracht habe, wie man sich fühle und ob alles so laufe, wie es solle – tout va bien? Tout va bien –, und Aude beobachtete ihre Omama, wie sie die gestickten Handschuhe auszog und auf ein Biedermeiermöbelchen legte. Die ganze Wohnung war überfüllt mit Möbelstücken einer vergangenen Zeit. Überall Rüschen und Deckchen, Untersetzer und Kordeln, und selbst die Wände waren mit floralen Ornamenten tapeziert. Lampenschirme, die von Fuchsjagden berichteten, und ein goldener Schuhlöffel, der aus einem mit Stoff eingefassten Schirmhalter sprang. Der Schick einer vergangenen Epoche funkelte einen aus jedem einzelnen Objekt an. Kupferdöschen, Porzellanbecher, Glasfigürchen, eine elendlange vergilbte Zigarettenspitze oder das Lorgnon mit Hornstiel, alles, alles zeugte von einer Welt, die untergegangen war und von der Aude nur mehr erahnen konnte, wie es sich einst angefühlt haben mochte, darin groß und erwachsen zu werden.
»Mameli, ich habe unserer Aude soeben von dir und den Tellern erzählt.«
»Vom Grand Hotel?«
»Mais non, dis donc, natürlich von Ungarn!«
»Wieso«, mischte sich Aude ein, »hast du das mehrmals gemacht?«
»Gewiss! Und wenn du nicht dein hübsches Kind in Armen hieltest, würde ich dir auch gleich zeigen, wie!«
Danach erzählte Omama, wie es gewesen war im Restaurant »Schiff«, wer zu Gast war und was man sich in der Küche über diese oder jene Leute zu erzählen wusste. Seit einigen Jahren nun schon waren die beiden nicht mehr umgezogen, lebten ihr Leben im Kanton Schwyz und hatten endlich auch Zeit, sich um den lokalen Klatsch zu kümmern. Keine seltene Art von Heimischwerden, wie Aude imStillen befand. Noch immer
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