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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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vielleicht auch nur ein Hauch einer Erinnerung. Sie lächelte ihrer Omama aufmunternd zu.
    »Wozu willst du das aber alles wissen, Aude?«
    »Ich weiß es nicht. Aber du hast uns früher so oft erzählt von deinem Leben in Ungarn, den Tagen dort. Einen Kinderreim auf Ungarisch hast du uns vorgetragen, wir haben immer lachen müssen. Und von Prinzen und Prinzessinnen, von langen Haaren und der schweren Arbeit in Bern hast du uns erzählt. Von einem Pferd, mit dem du über eine hohe Brücke geritten bist, von den Zeiten, als Abel spielte, und denen, als er Geschäfte machen wollte mit Tuch und Stoff und so.«
    »Das ist aber viel. Wozu das alles wieder aufwühlen, jetzt?«
    »Ich weiß nicht, Omama. Ich habe das Gefühl, dass wir dir nie richtig zugehört haben. Das waren eben einfach deine Geschichten, die mit dir kamen, wie euer Kräutertee am Abend oder die beiden Nachthäfeli unter dem Bett, du weißt schon, deines gelb und seines weiß. Die Geschichten haben wir immer nur so am Rande aufgeschnappt, aber nicht wirklich begriffen. Ich bin gekommen, weil ich sie jetzt aufnehmen will. Richtig. Auf Tonband. Vielleicht verstehe ich dann das eine oder andere etwas besser.«
    »Vielleicht aber auch nicht.«
    »Vielleicht aber auch nicht. Egal. Ich bin hier, weil ich deine Geschichte noch einmal hören will. Von allem Anfang an.«
    Mondaines Hände fuhren über die Umschläge der Alben, berührten Plastik, Papier, Pappe, Wachstuch, Stoff. Das Aufnahmegerät untermalte diese Verzögerung mit einem fernen Rauschen. Dann hob sie zu erzählen an.
    »Der Vater meines Vaters stammt aus der alten k. u. k. Monarchie Österreich-Ungarn. Er war Hofcoiffeur zu Wien, weißt du, all die Prinzessinnen und Gräfinnen und so, der ganze Adel, die mussten ja auch zum Friseur. Dort hat er eine Csöke geheiratet, ich erinnere mich nicht, was für einen Status die hatte, aber die hat er geheiratet.«
    »Wer? Dein Großvater?«
    »Ja. Nein, sein Vater. Oder der Vater seines Vaters. Ich bringe das jetzt vielleicht auch durcheinander. Wir haben nie viel darüber gesprochen zu Haus.« Mondaine holte Luft. »Also mein Vater war’s nicht. Der hat ja ein Verdingkind geheiratet, die Mauritzli aus der Innerschweiz. Einer seiner Vorfahren wars, der hat diese Grafentochter geheiratet. Er und diese Csöke, erzählte man, die haben schon aneinander gehangen. Es hieß, das müsse eine ganz große Liebe gewesen sein. Grad so wie die von Papeli und mir. Die hat sich also an ihn gehangen oder er an sie, und da hatten sie fortgehen müssen. Das schickte sich ja nicht, so eine Ehe über die Standesgrenzen hinweg, das war nicht gemäß damals.«
    Mondaine lächelte. Sie streichelte über eine Fotografie ihres verstorbenen Mannes. »Ein Ausnahmetalent.« Aude blieb still und horchte. Der Anfang war gemacht.
    »Aber es ist dann wohl gutgegangen mit den beiden, ich habe nie, nie etwas Negatives sagen gehört. Sie müssen für sich wirklich etwas Besonderes entdeckt haben. Früher gab es so was noch zwischen Mann und Frau: unverbrüchliche Kameradschaft. Über alle Hindernisse hinweg.«
    Aude befürchtete die Frage, aber Mondaine war ganz woanders, weit weg von dem Gedanken an Aurelio und dessen unbekanntem Vater, auch weg von Aude, zurückversetzt in ihre eigenen Kindheitstage. »Weißt du, vieles ist auch vergessen gegangen. Ich kann nicht mehr mit Sicherheit sagen, wer damals wer war. Irgendeine ist auch früh gestorben, und noch eine, ich glaube, die Mutter meines Vaters, denn danach kam mein Vater zu einer Stiefmutter, und dann wurde er nochmals weitergereicht. Ich weiß das wirklich nicht, ich weiß nur, dass wir aus Sopron stammen. Ödenburg hieß das damals noch. Da war ich als kleines Kind, und zuletzt, als ich zwanzig war.«
    »Du bist nie mehr zurückgegangen?«
    »Nie mehr. Das ist doch jetzt alles nicht mehr. Nicht mehr so wie zu meiner Zeit«, ihre Stimme brach sich an den Felsen eines Bildes, das sie nicht hatte sehen wollen, »Sopron, Miskolc …, da hat sich doch alles verändert.«
    Draußen klopfte ein Specht an eine Tanne. Die Geißen, die vor dem Balkon der Großmutter ihren Kletterplatz hatten, meckerten. Aude wartete, dann fragte sie: »Wie war sie denn, deine Zeit?«
    »Ja, du! Meine Zeit? Schön war sie. Schaurig und schön. Ich weiß noch gut, wie wir auf Schloss Esterházy zu Gast waren. Der Prinz Esterházy, der hatte den ganzen Neusiedler See, das Schloss, den Garten, die Ländereien. Und der Freund meines Vaters, von dem muss ich noch

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