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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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gegeben haben. Selbst in der Schweiz.
    Selbst in der Schweiz.
    Was sie zurückließ: Aurin, den Goldenen, der seine große Liebe zelebrierte, bis obenhin angefüllt mit Glück, mit Tanz im Blick, als er mit Şirîn zusammenzog in eine erste gemeinsame Wohnung; ein plötzlich leer werdendes Daheim in einem elfstöckigen Hochhaus am Stadtrand von Zürich; die Eltern, Nunzio und Emma; die Schwester Lorine,munter wie eh, munter auch deren Kinder und deren Mann; ihre eigene Stimmlosigkeit – Aude sang. Sie verstand zwar keines der holperig klingenden Worte, aber sie hob bei jedem Refrain eines Radiolieds mit an. Ihre Stimme klang irgendwie rau, schleppend, doch von Erregung durchpulst.
    Worauf sie zusteuerte: ein Ornithologenabenteuer im breiten Schilfgürtel um den Neusiedler See, eine einzigartige Naturlandschaft, gesetzlich geschont vor landwirtschaftlicher Nutzung; grasende Schwarzrinder im Morgennebel und graue Steppenrinder, Esel auch, die Nüstern in der Höhe, weil die Welt um den See so vieles zu bieten hat! Aber leider auch: Menschen. Berufsfischer, Touristen, Bauern, die mit ihren Kutschen vergnügungsfreudige Familien umherchauffierten, Parkranger und Weinarbeiter vom nicht allzu fernen Esterházy-Gut. Störfaktoren, Immissionen, unliebsame Geräusche.
    Eine Frauenstimme mischte sich in die Route ein, Aude hatte noch kurz vor ihrem Abflug nach Wien ein Navigationsgerät gekauft und ließ sich nun den Weg zur Pension Palatinus Satz für Satz bis zur Új utca 23 vorsagen.
    Sie parkte den Wagen dicht an die niedere Häuserzeile geschmiegt und erkundigte sich dann an der Reception nach dem bewachten Parkplatz. Durch einen unmöglich engen Torgang rangierte sie den Wagen centimeterweise bis in den rückwärtigen Hof, dort parkte sie ihn erneut und zum letzten Mal für heute. Sie war angekommen.
    Kaum dass sie oben im zweiten Stock in ihrem Zimmer die Türe hinter sich zugezogen hatte, schlug das Wetter um. Blitzartig. Der Himmel hatte sich ein dunkles Tuch übergeworfen und schüttelte grobe Regentropfen daraus hervor. Die Gasse dampfte, und Aude stabilisierte mit dem Rucksack das offene Fenster, so dass es nicht hineinregnete, die kühlere Luft aber doch zirkulieren konnte. Pannonisches Klima. Sie faltete ihre Kleider auf und hängte sieüber Bügel. Sie wartete eine Weile, dann ging sie spazieren. Die geschwungenen Gassen auf und ab. Durch Zwischengänge, in verwinkelte Hinterhöfe und über helle Plätze. Am Hauptplatz marschierte sie zum Feuerturm und stieg alle Stufen bis zuoberst hinauf. Von da bot sich ihr ein Bild des Friedens, ein durch innere und äußere Ringe in sich ruhendes Städtchen. Ihre Hände fühlten sich unerwartet zu Hause auf der irdenen Brüstung. Die Finger lagen still und unverkrampft. Parallel. Sie schaute die Soproner Welt. Der Regen hatte deutlich nachgelassen, nur noch ein einzelnes Nachzüglertröpflein dann und wann. Das Pflaster schillerte den Sonnenstrahlen entgegen, die es bald trockenlecken würden. Keine Menschen unterwegs, niemand draußen, nur von irgendwoher das Echo von Schritten. Aude raffte sich auf und ging die Stufen hinab, wieder eine Gasse aufwärts, dann bald quer und ohne festes Ziel. Vor einem Fenster blieb sie lange stehen und betrachtete einen weißen Gips-Schakal, der auf dem Sims Wache hielt.
    Im Liszt Szalon trank sie ein Kännchen Tee, ein mythisches Gemix aus schönen Worten und gebrochenen Blättern, das tatsächlich schmeckte. Sie fühlte sich wie auf einer Zeitreise nach nirgendwohin. Ohne ihr Fernglas, ohne ein Objekt, das sie beobachten konnte, ohne eine rare Spezies im Visier, war Aude ein eher ratloser Mensch.
    Ob diese Reise ihr wirklich das ersehnte Glück bringen würde? Ob sie, wenn sie die Großtrappen bei ihrer Balz beobachtete, tatsächlich anders würde, geläutert und in sich gerade ebenso ruhend wie dieses kleinstädtische Idyll? Ob sie sich würde aufrappeln und ihrem neuen Leben zu Hause stellen können? Ob dann endlich Ruhe wäre in ihr drin? Denn, egal wie stumm sie nach außen hin scheinen mochte, in ihr standen die lauten Worte, Fragen, Behauptungen und Selbstbeleidigungen Gewehr bei Fuß, bereit zum ultimativen Blattschuss. Ja, ob diese innere Unruh aufhörenwürde, sie anzutreiben, fortzutreiben, ob sie endlich sesshaft würde? Auch sie? Sich irgendwo, zufrieden mit sich und der Welt, an einem neuen Ort niederlassen würde, jetzt, wo Aurelio ausgezogen war?
    Es schien ihr, von der Ferne betrachtet, dass in ihrer Familie alle ihren

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