Die Ruhelosen
abschüttelte.
Sein Idiom war eine Mischung aus amerikanischem Englisch und Schweizerdeutsch, Goldküstendialekt, wie man ihn am reinsten noch in Küsnacht sprach.
Ab und zu flocht sich ein italienischer Ausdruck ein, den Guido besäuselt weglächelte, wie ein Papierschiffchen, das zwischen den mächtigen Wurzeln der Mangroven in der Bucht verschwand.
»Sie hat uns oft auf den Friedhof genommen, unsere Nonna. Dort war’s still, und sie hat uns Märli erzählt …, c’era una volta … und so. Bei ihrem Mann am Grab, damit der auch zuhören und miterleben konnte, was für eine stabile und ausgefertigte Persönlichkeit sie doch war. Hab ich dir schon einmal von ihren krummen Beinen erzählt, Angeline?«
Gespenstische Geräusche fädelten sich vom Land durch die Luft auf das Elfmeterboot, das Guido und Angeline ihr Zuhause nannten. Guatemaltekische Zikaden flochten ihre langgedehnten Gesänge zu exotischen Mustern, Schall- und Erschütterungssignale, die in beständigem Zirpen den Weltenzustand kundtaten. Ihre Trommelorgane paukten ohne Unterlass.
»Meine Schwester Carla war ein Täubelikind. Sie war so starrköpfig und kompromisslos. Vielleicht hat sie diese Bestimmtheit von der Nonna mitgegeben bekommen. Als Kind dachte ich, es sei ein Trick, dass sie nicht mit den Kunden sprechen wollte, weil sie dann im Zimmer verschwinden konnte und spielen. Wir Jungs, Nunzio und ich, haben viel weniger gespielt in jener Zeit. Und das war’s, was sie dort machte: Sie spielte mit sich allein.«
Guido leerte sein Glas mit einem Schluck.
»Als meine Mutter Alda dann mit Silvia schwanger war, hat ihr der Arzt gesagt, sie könne es auch wegmachen. Sie aber, kennst sie ja: nein, nichts sagen, nichts machen! Und behielt es für sich als Geheimnis unter dem Herzen. Solange sie konnte, bis Vati es eben doch bemerkte. Und dann sagte er: Ja, das macht ja eigentlich auch nichts. So war er, Vati,
macht ja eigentlich auch nichts
.«
»Deine Nonna hatte sich aber gefreut …«
»Ja, die Nonna hatte sich gefreut.«
Gemeinsam lauschten die beiden den Klängen des Urwalds, den vielen Stimmen, die sie jeden Tag und jede Nacht begleiteten, seit sie aufs Boot gezogen waren.
»Ich hatte abstehende Ohren und war ein Bettnässerkind. Ich hätte Vati nie genügt, wenn ich geblieben wäre.«
Angeline überlegte, ob er denn jetzt genügte, sie waren ja alle verstorben und tot.
»Ich hatte einfach keine Luft zum Atmen um ihn herum. Nie hätte ich neben ihm ein guter Malermeister werdenkönnen. Ich bin eben wie der guatemaltekische Quetzal, ich überlebe nur dann, wenn ich frei bin. Mich kann man in keinen Käfig sperren, dann töte ich mich selbst. Kannst du dich noch daran erinnern, wie er immer in den Farbeimern die Farbe an den Innenwänden mit dem dicken Pinsel nach unten putzte, um nur ja keinen Tropfen herzugeben? Arbeiter waren billig damals, aber das Material war teuer! Well then.«
Guido goss sich ein Glas nach, blickte in die Ferne, wo Palmen im weichen Wind wogten. Unter ihm schaukelte das Boot auf sanften Wellen. Die Luft war voller Süße.
»Dein Vater hatte uns die Verlobung bezahlen wollen …«
»Der alte Trickser. Da hat er uns schön reinlaufen lassen. Das ganze große Fest. Das hätten wir doch nie gemacht, wenn wir gewusst hätten, dass er uns nachher mit den Rechnungen auflaufen lässt. Und dann die gleiche List ein zweites Mal, bei der Hochzeit.« Guido schüttelte den Kopf.
»Er dachte, dass wir nicht gehen würden, ohne Geld.«
»Mich muss man ziehen lassen, wie den Quetzal.«
»Er wollte, dass wir bleiben. Das wollten damals eigentlich alle.«
»Und haben uns alles bezahlen lassen, bis auf den letzten Rappen.«
»Ich sehe ihn noch vor mir, mit seinem gewitzten Schalk …«
»Ich auch. Ich auch.«
»Und wir sind dann doch gegangen, mit weniger als 2300 Dollar und keinem Job in Aussicht.«
»Und kein Englisch hast du gesprochen, Angie. Stur wie alle Oberländer.«
Noch immer zirpten die Zikaden.
Beide hingen still ihren Gedanken nach. Guido suchte den Himmel nach späten Wetterzeichnungen ab. Angeline, eigentlich Angelika Gartmann aus dem Zürcher Oberland,horchte auf, als im Schiffsradio Dolly Parton sang.
I will always love you.
Sie hatte Guido ihre Hand versprochen als junges Mädchen, ja gesagt zum Abenteuer des Auswanderns, aber bereits auf dem Hinflug hatte sie gemerkt, dass sie die Entfernung von der Heimat härter ankäme als befürchtet. Drüben angelangt, wollte sie partout kein Englisch lernen.
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