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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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hineinhorchte, desto mehr spürte sie, dass ihre Angst allein im Kopf saß und in ihrem Körper sich nichts als Stille ausbreitete und Erlösung.
    Vielleicht sollte man mehr auf seinen eigenen Instinktvertrauen. Vielleicht nicht so sehr auf die Stimmen im Kopf hören, vielleicht sprechen meine Zellen eine deutlichere, eine wesentlichere Sprache auf ihre Art. Lerne durch deinen Körper, sagt Lorine doch immer, dachte sie.
    Um zehn vor sieben klopfte sie an.
    Den Ausdruck auf Toms Gesicht konnte sie nicht deuten. Störte sie ihn vielleicht doch? War es dumm, dass sie gekommen war? Unhöfliche zehn Minuten zu früh? Er stand da vor ihr, die Türe an seine Schulter gelehnt, als wollte er etwas verstecken. Es roch komisch.
    »Du bist ein bisschen früh«, sagte er.
    »Ich kann auch noch eine Runde drehen. Ich kann in zehn Minuten wiederkommen. Ich kann …« Er schien tatsächlich zu überlegen. Sie starrte auf den Spalt zwischen seinen Schaufelzähnen, hörte die Luft in seinen Lungen, hörte ein
Nein
, ein
Komm rein
darin kesseln. Dann sagte er: »Nein, das macht jetzt auch nichts mehr. Komm einfach rein«, und schob ein Lächeln nach, das sie überzeugen sollte. Sie bemerkte, dass er die Türe nur knapp für sie öffnete, enger Durchlass, dann war sie drin. Fremde Geräusche, aber am stärksten nahm sie diesen Geruch wahr: etwas Steifes, Zähes, Scharfes, das in der Luft hing und den Atem zersäbelte, unangenehm. Ihr Blick fiel auf haufenweise gestapelte Schachteln und Kisten, zwei Koffer und ein paar Säcke mit, wie es schien, alten Kleidern. War das die Wohnung eines Messies – vielleicht? Sie wollte weiter beobachten. Tom stand einfach da, stand ihr im Weg, stand irgendwie unschlüssig, so, als könnte er es sich doch noch einmal umüberlegen und sie zum Gehen auffordern. Aber er sagte nichts, schaute nur so, als würde die Stunde der Wahrheit auf ihn warten. Ein unweigerliches Scherbengericht, das hinter seinem Rücken über ihn tagte und das Urteil, nur wenige Meter von ihm entfernt, demnächst sprechen sollte.
    »Na, dann«, er öffnete die Türe zum Wohnzimmer, und Aude sah eine, zwei, nein, noch mehr schwarze Katzen. Eine wuselte schlimmer als die andere, zwei fetzten sich, eine, zwei, drei schliefen, eine weitere stürmte auf sie zu.
    »Um Himmels willen, bist du Okkultist?«
    »Das sind nicht meine.«
    »Du hütest sieben fremde schwarze Katzen?«
    »Nein, so ist es nicht«, er schloss sorgfältig die Türe hinter sich und stand etwas ratlos im Raum, »neun im Übrigen. Es sind neun.«
    Nun erkannte Aude auch, woher dieser Geruch kam: An zwei Wänden entlang standen je fünf Katzenkistchen ordentlich mit Sand gefüllt, eindeutig gebraucht.
    »Das ist jetzt vielleicht ein bisschen eine ungewöhnliche Situation für dich. Als Ornithologin unter so vielen Katzen.«
    »Sie sind alle schwarz …«
    »Ja, das sind sie. Alles schwarze Panther. Kleine weibliche schwarze Panther.«
    »
Panthera Pardus
, melanistische Exemplare, Leoparden mit einer übermäßigen Ablagerung von Melanin. So was kommt bei Greifvögeln auch ab und an vor. Ich habe einmal eine Wiesenweihe gesehen, die war ganz dunkelbraun. Eigentlich sind diese Tiere ja gemustert, wenn das Licht ihr Fell bescheint. Deine auch?«
    »Keine Ahnung. So lange habe ich sie noch nicht.«
    »Wieso hast du die denn überhaupt?«
    Also beschlossen sie, sich erst einmal zu setzen und über die Katzenpopulation zu sprechen. Aude legte die Taschen mit den Tonbändern vorsichtig neben sich aufs Sofa und wartete. Kaum dass sie sich einigermaßen eingerichtet hatte, sprangen drei Katzen neben ihr hoch. Die Ledercouch machte knarzende Geräusche. Die Tiere beschnupperten sie, rochen an ihren Händen und drückten ihr ihre Köpfchenin die Seite. Vorsichtig begann Aude, die Katzen zu streicheln. Eine jammerte und beklagte sich, wollte mehr, eine andere strich ihr um die Beine, versuchte den Stoff ihrer Jeans als Krallenschärfer. Aude lachte verlegen. Als sie wieder zu Tom hinübersah, der vis-à-vis auf der Armlehne eines Sessels saß, der bestenfalls noch in ein Brockenhaus passte, sah sie, dass sich seine Hände ineinanderkrampften und wieder losließen. Sein Blick war ungewöhnlich unbestimmt, und in seinen Augen lag als Schimmern eine dünne Wand.
    Augenblicklich versteifte sich ihr Rücken.
    »Die Katzengeschichte willst du also hören. Wie es dazu gekommen ist, dass ich meine Wohnung mit neun Katzen teile.« Er seufzte. »So genau weiß ich das selber nicht. Aber

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