Die Ruhelosen
Berichterstatter erkannten das wahre Drama. Die meisten verschrien das Tier als mordlustige Bestie. Schlimm, wenn man bedenkt, was dieser Panther wohl alles hatte durchmachen müssen auf seiner Reise durch die Welt. Und überhaupt.«
Wieder wartete er auf eine Reaktion, seine Hände verloren sich im Fell einer Katze. Dann fuhr er fort: »Nun, dieseGeschichte findet kein gutes Ende. Ein paar Tage oder Wochen vielleicht, ich weiß es nicht genau, konnte sich das Tier am Leben erhalten. Den Spürhunden war es erfolgreich ausgewichen, und es muss eine ganz beachtliche Strecke zurückgelegt haben, denn irgendwann wurde es von einem Taglöhner unter einem Stadel entdeckt. Da der Mensch alles, was er nicht kennt, erst einmal beherrschen muss, schloss er es unter dem Stadel ein. Ich glaube, mein Großvater hat damals erzählt, der Taglöhner hätte das Schlupfloch mit einem Brett zugenagelt und den Panther bei lebendigem Leib eingesargt, gewissermaßen. Jedenfalls, danach ging der seine Jagdflinte holen und schoss blindlings unter den Schopf. Er hatte das traurige Tier durch den Bauch ins Kreuz getroffen, so dass es die Hinterbeine nicht mehr bewegen konnte. Irgendwann ist es dann aus seinem Versteck hervorgekrochen, und da hat ihm der Depp mit seinem Zapi auf den Kopf geschlagen. Tja, dann war es also tot. Und weil er noch immer nicht wusste, um was für ein Tier es sich da eigentlich handelte, beschloss er kurzerhand, es sich einzuverleiben. Eine Tragödie. Aber gell, wie weit kann einer aus seiner eigenen Haut? Er und ein Mitwisser zogen der Katze jedenfalls den Balg über die Ohren, das Fleisch wurde gekocht und gegessen, aus dem Fell wollte sich der Mann warme Sohlen als Einlagen für seine Schuhe machen. Und so kam das dann wohl auch heraus, dass da einer den schönen neuen schwarzen Panther zu Tode gebracht hatte, durch das Fell. Tja. Das ist für mich auch irgendwie das, was den Schweizer ausmacht: Was er nicht kennt, was er nicht versteht, ist prinzipiell einmal schlecht und muss totgemacht werden. Er will es weghaben, über den Rand der Welt hinausgeschubst. Oder zumindest über die eigene Grenze.«
Tom seufzte. »Entschuldige, aber ich als Dreivierteldeutscher kann das ja sagen. Deutsche mag man hier nicht. Besonderswährend der Fußballmeisterschaft, hast du das schon mal erlebt? Meine Mutter, sie kommt aus der Bodenseegegend, Kippenhausen, das kennst du sicher nicht, sie möchte dann immer am liebsten ganz weit wegfahren …«
»Das ist eine sehr traurige Geschichte«, sagte Aude schleppend, »aber ich verstehe immer noch nicht, was das mit den Katzen hier zu tun hat?«
»Ach ja. Man sagt ja, jede gute Geschichte ist erst dann zu Ende erzählt, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat, nicht wahr«, er lachte kurz auf mit geschlossenen Augen. Er schüttelte seinen Kopf. »Also, mein Großvater war damals überzeugt davon, dass er, wenn er nur ein bisschen besser aufgepasst hätte, dieses Unglück hätte verhindern können. Er gab sich die Schuld daran. Und es tat ihm unendlich leid, dass das Tier so hatte enden müssen. Immer wieder hat er uns diese Geschichte erzählt. Wie ein Song auf Repeat. Danach war er übrigens zu seinen Fischottern zurückgekehrt. Er hat nie mehr die Hand gehoben, war nie mehr aus irgendeiner Reihe getreten. 1991 ist er dann gestorben. An Alter, er ist einfach eingeschlafen. Schön, eigentlich. Warte –«, sagte er, als er bemerkte, dass Aude einhaken wollte, »ich will das jetzt zu Ende erzählen. Mein Großvater hatte auch einen Sohn, meinen Vater. Ja, und der erkrankte vor ein paar Jahren an Altersdemenz. Mit der Zeit wurde es schlimmer, und manchmal hielt er sich tagelang für seinen eigenen Vater, sprach davon, dass er das Deckengitter ausbessern müsse, dass er den Panther füttern gehen müsse und solches Zeugs. Wir wussten das damals nicht richtig einzuschätzen. Das Ganze war so schon verrückt genug. Dann, einige Monate bevor mein Vater starb, hat er damit angefangen, Tierheime nach schwarzen weiblichen Katzen abzuklappern. Meine Mutter schämte sich und sagte mir zuerst nichts. Erst ab der vierten Katze, die er anschleppte, fasste sie sich ein Herz. Ich glaube, siehat ihm diese kleine Freude gönnen wollen, bevor er ins Heim musste. Als ich das realisierte, war klar, dass es so nicht gehen könnte, und ich bestand darauf, dass damit Schluss sein müsse. Sie aber wollte noch abwarten, bis er wieder ansprechbar, für einen Moment der Alte wäre, so dass sie
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