Die Ruhelosen
galvanisch versilberten und polierten Kupferplatte konserviert und überdem elterlichen Bett auf einem Wandregal angelehnt stehen. Die Ausleuchtung hatte dem Köpfchen so etwas wie einen Heiligenschein hingezaubert, einen hellen, lichten Schimmer, der hinter den säuberlich frisierten Säuglingshärchen hervorstrahlte. Neben das Bild hatte Giuseppina ein glasiertes Keramiktöpfchen mit Blumen, die sie regelmäßig erneuerte, gestellt, eine Marienfigur aus blaugelb bemaltem Gips, und über allem wachte aus Rosenholz geschnitzt Jesus am Kreuz.
Ein gutes Jahr später war die zweite Daguerreotypie dazugekommen, diesmal sieben mal acht Zentimeter groß, und darauf zu sehen drei eingefallene Gestalten vor ihrem einfachen Haus, niemand anderer als Vitale und Giuseppina, ein, wie es schien, schlafendes Mädchen im Arm. Tapfere Eltern, die minutenlang ernst und regungslos in das dunkle Loch des Holzkastens geblickt hatten. Giuseppina hatte sich von ihrer Nachbarin für diesen Moment eilig einen Chignon über den Hinterkopf drechseln und zwei Schneckenzöpfe flechten lassen, die ihr streng auf die Ohren drückten. Über der Schulter trug sie das gehäkelte Dreieck ihrer Mutter, und der weiße Kragen ihrer Bluse faltete sich ordentlich über den hochgeschlossenen Halsbund ihres schwarzen Kleids. Ihr Mann hatte sich die Haare seitlich aus dem Gesicht geschmiert und seinen Sonntagsstaat angetan. Sein Jackett war nicht bis ganz oben zugeknöpft, ein gemustertes Tuch war um seinen Hals gewickelt und vorne geknotet, der Vatermörderkragen lugte gesteift daraus hervor. In seinen Händen hielt er die Mütze, die er auch bei seiner ersten Begegnung mit Giuseppina dabeigehabt hatte, und der Stoff seiner Hosen spannte über den muskulösen Arbeiterbeinen, die aus nichts außer drahtigen Sehnen, Muskeln und Haut bestanden.
Felipe Natale also, der um diese Bilder wusste und sie, wenn er sich nur danach umgedreht hätte, auch jetzt hättesehen können an der Wand, wie sie noch immer dastanden, etwas verstaubt und angeschmutzt, bewacht vom Kreuz des Erlösers und geschmückt mit einem Blumengruß, brachte diesen Vorschlag vor und wartete geduldig auf Giuseppinas Anweisung. Ja, wenn Vitale noch da gewesen wäre, diesen Entschluss zu fällen, wenn sie ihn hätte fragen können, aber jetzt oblag diese Entscheidung ihr, ihr ganz allein, der zweiunddreißigjährigen Familienfrau, die so völlig unverhofft und nur wenige Wochen nach Vitales Fest zur Witwe geworden war, und sie wusste nicht, was schlimmer war: den Entscheid alleine fällen zu müssen oder ihn Vitales Arbeitskollegen zu überlassen, und schließlich schüttelte sie nur matt den Kopf. Weshalb ein weiteres Bild eines Toten anfertigen lassen, weshalb diese ganzen Mühen, ja waren denn hier oben im Norden alle moribund?, weshalb noch ein Bild mehr auf dem Regal über ihrem Bett, das von der Leblosigkeit der Ihren zeugte, was hätte ihr das genützt?
Es war nicht, dass ihm das irgendjemand hätte sagen müssen, es war auch kein bewusster Gedanke, den Serafino dachte, wie ein folgsam herbeigearbeitetes Rechenresultat, es war mehr ein Instinkt, der ihm bedeutete, dass er der Nächste in der Stufenfolge war, dass sein Platz nun unverrückbar hier war und hier bleiben würde. Irgendetwas verlor sich an diesem traurigen Tag in ihm, ein Teil seiner Selbst, das ihm abhandenkam und das von den hereinbrechenden Rändern seines verwegenen Planes überrollt wurde; seines Planes, den er sich so schön und in Riesenschritten zurechtgelegt hatte, mit dem er doch hätte mutig sein wollen, mutig für alle sein können und der ihm nun nur noch für das eine übrigblieb, die eine Handlung, ihn zu zerreißen.
Nie wieder würde er über eine Zukunft als Familienritter nachdenken und nie wieder darüber, was aus seinem Schulunterricht beim gestrengen Maestro werden sollte, nein, eswar einfach nur klar, dass mit alldem ab sofort Schluss sein sollte und er als nächster Vitale Senigaglias Platz an der Drahtwinde einnehmen müsste. Zuerst als anzulernender Handlanger, dann als nützliches Mitglied der Arbeiterschaft. Sein Ritterschlag bestand aus einer schweren Hand, die von di Pietro an jenem Nachmittag auf seine Schulter gesenkt wurde und mit der alles, alles gesagt war.
Der Arzt, der kam, die Leichenschau vorzunehmen, war derselbe, der auch beim Tod der beiden Kinder Zeuge der Unwiderrufbarkeit gewesen war. Er willigte ein, den Leichnam aufzubahren, damit ihm in den nächsten drei Tagen die Ehre
Weitere Kostenlose Bücher