Die Ruhelosen
vergessen.
Vergessen hatte er auch seine erste Frau, Krisztina Selzam, einfach ausgeblendet und sich mit ihrem erinnerten Anblick nicht mehr belastet. Hätte Ferenc Schön den Mut dazu gehabt,ja die Kraft dazu aufbringen können, das Fernglas auf diese seine erste Frau, die viel zu früh und völlig unerwartet von ihm gegangen war, zu richten, so hätte er eine schlanke Schönheit mit starken Händen, großen weißen Zähnen im breiten Gesicht, das über und über mit goldenen Sommersprossen besprenkelt war, gesehen. Er hatte sie als junges Mädchen in Wien kennengelernt, als er selber mit knapp achtzehn Jahren in den kaiserlichen Frisierdienst Franz Josefs trat. Sie war die Tochter eines kaiserlichen Bereiters, und sie hielt sich lieber im Freien auf als in den kühlen Schluchten des Palastes. Ihr Haar war eine krisselige, nur schlecht gebändigte Fontäne von Dunkelblond, Kupfer und Ambra, und ihre bleiche Haut war eine Landkarte, ein Gemälde, ein berückendes Wirrwarr von Punkten, Pünktchen und flächigen Ansammlungen von rötlichem Braun. Man hätte ein ganzes Leben gebraucht und dann noch eines dazu, um sie abschließend zu kartographieren. Das hatte ihn vom ersten Moment an an dieser Frau fasziniert, ihr Geheimnis, das so offen sichtbar für die Welt sich unter die Ärmel ihrer Kleider zurückzog und dort weiterwirkte. Denn, und das erfuhr er erst, als er sie für sich gewonnen hatte und das erste Mal im Stall hinter den Strohballen fast ganz nackt besehen durfte, auch ihre Beine waren bis zu den milchigen Schenkeln hinauf scheckig getüpfelt. Ihr Rücken. Ihre Brust, die runde, die ihn immer an irgendetwas Fernes, Warmes erinnerte, die etwas in ihm zum Klingen brachte, er wusste nicht was – er hatte es ausgeblendet. An ihrem linken Oberarm gab es eine gestreute Ansammlung, die ein bisschen wie ein in einem milchigen Meer schwimmender unentdeckter Archipel aussah, Flecken und Formen und Punkte waren zu Hunderten über ihren samtigen Körper verstreut. Er hatte Krisztina wirklich geliebt. Er hatte sie vergöttert und in den Olymp gehoben, nichts liebte er mehr, als seine Nase in ihr blütenduftendes Haarzu drücken und seinen Geruch in sich aufzusaugen. Wenn sie ihn ansah, zu ihm aufsah mit ihren grünen Kleeblattaugen und den niedlichen zweifarbigen Wimpern, die Kissen ihrer Lippen zu einem verschmitzten Lächeln flach gezogen, die etwas breit geratene Nase amüsiert gekräuselt, dann wusste er, spürte er einfach, dass sie die Frau sein würde, mit der er eine grad ebenso unantastbare Liebe leben könnte, wie es ihm seine Eltern vorzelebriert hatten.
Er hatte auch Krisztina spät geheiratet, fast zu spät. Ihr Vater wollte sie nach Marseille ins ehemalige französische Kaiserreich, nun wieder Republik, zum Sprachenlernen schicken. Ferenc war mit seinen vierundzwanzig Jahren ein richtiger Spätzünder. Obwohl er sie bereits mit seinem ersten Fernrohrblick auserkoren hatte, brauchte er viel länger als andere junge Männer seiner Generation, den Schritt auf sie zu zu wagen. Und vielleicht hatten dabei sogar seine selbstherrliche Mutter und sein fügsamer Vater nachgeholfen, er wusste es nicht mehr.
Seine Ideale von der Ehe waren eben doch an die hehre Liebe und spürbar tiefe Zuneigung, die seine Eltern einander in jeder Minute ihres Lebens schenkten und die sie in aller Öffentlichkeit zur Schau stellten, geknüpft. Und erst wenn er die absolute Gewissheit darüber erlangt haben würde, dass er mit einer Frau grad ebenso fest verbunden wäre und mit ihr dasselbe ewige Band als Triumphbanner über ihrer aller Köpfe würde schwingen können, würde er bereit sein. Und so prüfte er seine Angebetete lange. Lange.
Ferenc war als Kind von seinen Eltern sein ganzes Leben mit Liebe überschwemmt worden, er war ihr Augenstern, Beweis ihrer Courage, Beweis ihres Ungehorsams, ihres Eigensinns und obendrein Beweis der Gültigkeit ihres damaligen Schrittes.
Was waren sie glücklich und erfüllt, als ihr einziger Sohn erwachsen geworden war und eine so schöne, eine so spezielleund außergewöhnliche Braut endlich vor den Altar führte! Alžbeta hatte Tränen der Freude geweint und sich ungehemmt, wie das eben noch immer ihre Art war, in die Arme ihres František gestürzt, und sein Vater hatte wie ein stolzer Gipsabguss seiner selbst dagestanden, vor lauter Überwältigung der Sprache entmächtigt. Es war, als wäre die Familie František Schön durch die Heirat ihres Sohnes ein zweites Mal in Ödenburg
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