Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
Vom Netzwerk:
machte?
    Der Würgeengel hatte seine Anna Leopoldina fest im Griff, es würde kein Entrinnen geben, die Zeichen des bevorstehenden Todes seiner zweiten Ehefrau waren allzu deutlich, wenn nur das Kind nicht auch noch starb! Die kleine Anna Sebastiana war noch keine zwei Jahre alt, und schon lag sie mit dieser schauervollen Diphtherie darnieder, der schmale Kinderhals zur Groteske angeschwollen. Die Chancen, dass dieses schwarzhaarige Etwas überleben sollte, standen vierzig zu sechzig, wenn man zuversichtlich war. Und bei einer so düsteren Seelenveranlagung, wie sie Ferenc zu beklagen hatte, rechnete man gerne auch mit geringeren Heilungswerten. »Wir sehen keine andere Möglichkeit. Sagen Sie mir: Wollen wir es versuchen?«
    In Ferenc’ Kopf wirbelte alles wild durcheinander. Man wollte seiner Tochter prophylaktisch den Hals aufschneiden, ein Loch in ihren Atemweg bohren, damit sie nicht ersticken müsse. Eine lebensgefährliche Operation gegen eine lebensbedrohende Krankheit, die Tracheotomie, der Luftröhrenschnitt, als einziges Ventil, letzter zu versuchender Weg aus dieser Höllenqual hinaus. Und während Ferenc wie benommen vor sich hin nickte und dabei zusah, wie der Arzt, die Schwester und der Gehilfe die kleine Anna aus ihrem Bettchen hoben und hinaustrugen, fort von ihmund ins Hospital, drang aus dem Nebenzimmer das letzte Röcheln seiner Frau, das schließlich in barbarischer Stille erstickte.
    Ferenc musste raus. Nichts wie raus aus diesem Teufelshaus, diesem ewigen Born des Todes, er musste ihn irgendwie loswerden, den Fluch des Verdammten, ihn abstreifen, abschütteln oder ersäufen in Alkohol.
    Er ging in die Weinstube und blieb dort, bis man ihn in den Hof warf wie einen Sack Lumpen, und dort lag er sternhagelvoll mit Alkohol und Trauer und Wut, einer so unbändigen Wut, die ihn seine Faust immer wieder in die leere Luft und gegen den Himmel donnern ließ.
    Wenn ihn dieser Gott schon als Prügelknabe auserkoren hatte, warum stieg er dann nicht selbst vom Himmel herunter und prügelte sich mit ihm wie ein rechter Mann? Feiger Hund, der sich einen Gott schimpfte und von sicheren Fernen seine Geschütze auf wehrlose Untertanen abfeuerte, feiger, feiger Hund das, der sich die Frauen anderer Männer schnappte, weil er selber keine abbekam, müder alter Sack, dieser Gott im Himmel, der da hoch oben und über ihm thronte in all seinem Spott und Hohn. Noch einmal warf er seine ganze Kraft in diese eine kleine Trotzbewegung, diese müde und wenig furchteinflößende Schwingkeule, die da an seinem schlaffen Handgelenk herumschlotterte. Dann ließ seine Anspannung nach, und Ferenc heulte wie ein alleingelassenes Kind.
    Über ihm spannte sich geschmeidig der Nachthimmel von Ödenburg. Die Sterne tanzten, alle Tauben schliefen wohlig in ihren Schlägen, und Ferenc schien in seinem berauschten Zustand plötzlich zu begreifen, was in der Welt um ihn herum gespielt wurde. In seinem verkrusteten Bewusstsein kratzte er nach Untaten und Verstößen, deren sich seine Familie schuldig gemacht hatte. Nie hätte seine Mutter Alžbeta mit diesem einfachen Bediensteten durchbrennensollen! Nie hätte sich sein Vater František mit einer höheren Tochter einlassen sollen! Nie hätte die Gräfin Großmutter, die Ferenc sein Lebtag nicht kennengelernt hatte, ihren Mann in die Welt hinausziehen lassen dürfen, um Nachtfaltern, Motten oder was auch immer für Gefleuch nachzujagen! Nie, nie hätte dieser vermaledeite Großvater diese ganze verfluchte Sippschaft alleine und sich selbst überlassen sollen! Nie hätte er, Ferenc, als Sohn eines Juden und einer Katholikin geboren werden sollen: kein Wunder, dass solche Gotteslästerung bestraft wurde. Man stelle sie sich nur mal vor, die Götter der beiden Religionen im gleichen Olymp, wie sie in Rage geraten sein mussten, als sein Vater František einfach so mir nichts, dir nichts den Glauben gewechselt hatte. Das musste einen ja erzürnen, ob man nun Gott war oder nicht, so jämmerlich abgespeist wollte niemand werden. Und dann diese ewig östliche, ewig lüsterne Art, diese Verliebtheit, die die beiden seit Jahr und Tag so unverhohlen zur Schau stellten, das ziemte sich einfach nicht, wenn zwei sich so aneinander ergötzten, einander so unabrückbar ein und alles waren, die Liebe in ihrer reinsten und engsten und naivsten Form überhaupt waren, da blieb für den einen Nächsten nichts, da wurde er schlicht übergangen, hatte seinerseits kein Anrecht auf die Liebe, vielleicht der

Weitere Kostenlose Bücher