Die Runen der Erde - Covenant 07
festere Schmutzklumpen gehalten, aber jetzt sah sie, dass sie am Boden hafteten, als hätte der Wind keine Gewalt über sie. Im Lichtstrahl ihrer Stablampe schimmerten einige von ihnen feucht. Als Linden in die Hocke ging, um sie genauer zu untersuchen, stellte sie ohne Überraschung fest, dass diese Flecken Blut waren: zähflüssig und gerinnend, aber noch nass; erst vor kurzem vergossen.
»Der Teufel soll dich holen!«, murmelte sie, weil sie bereits wusste, was er getan hatte, was er beabsichtigte. »Damit kommst du nicht durch!«
Linden hatte sich geschworen, er werde Joan nur über ihre Leiche bekommen; aber sie hatte diesen Schwur nicht gehalten. Sie hatte sich selbst eingeredet, ihre Befürchtungen nicht ernst nehmen zu müssen. Jetzt war sie kuriert. Diesen Fehler würde sie nicht noch einmal machen.
Verdammt, dieser gefühllose Kerl hatte nicht mal den Anstand besessen, zu diesem Zweck ein Tier zu schlachten ...
Im Bewusstsein der Wahrheit, von der sich ihr die Magennerven verkrampften, fasste sie ihre Arzttasche fester und ging weiter, ging durch den kurzen Flur vom Wohnzimmer in die Küche. Hier sah es ebenso schlimm aus wie im Wohnzimmer. Die Hälfte der Fensterscheiben war zerschossen; zersplitterte Leuchtstoffröhren unterstrichen die Unordnung aus Glas, Verputzbrocken und zertrümmerten Möbelstücken auf dem Fußboden. Und dazwischen lagen Besteckteile und Küchengeräte verstreut: Wer auch immer das Haus nach Covenants Tod ausgeräumt hatte – Megan Roman? –, hatte die Küche offenbar vergessen. Aufgerissene Schubladen hatten ihren Inhalt wie Geröll verstreut. Auch hier fand Linden Blutspuren und kleine Blutlachen.
Sie hätte in panischer Angst um Jeremiah sein sollen, war es aber nicht. Trotz ihrer Ängste war sie sich sicher, dass Rogers Absichten in Bezug auf ihren Sohn nicht so rasch enden würden. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, Jeremiah dem Verächter als Opfer darzubringen.
Von der Küche aus führte ein weiterer kurzer Flur zu drei Türen, hinter denen ein Schlafzimmer, das Bad und ein zweites Schlafzimmer lagen. Lindens Stablampe zeigte ihr in den dunklen Tropfen und Flecken jene Spur, die Roger zurückgelassen hatte, damit Linden ihr bis zum Ende des Flurs folgte.
Sie brauchte nicht lange, um den letzten Raum zu erreichen, in dem Covenant damals Joan gepflegt hatte. Sechs weit ausgreifende Schritte; zehn zögernde Trippelschritte. Die Tür vor ihr stand offen, schien sie aufzufordern, tiefer in die Nacht einzudringen. Ihre Angst wuchs, obwohl sie zu wissen glaubte, was sie dort finden würde.
Linden umklammerte den Griff der Arzttasche. Ihr Gewicht wirkte beruhigend. Als sie Covenant vor zehn Jahren auf der Suche nach Joan in den Wald gefolgt war, hatte sie ihre Tasche nicht mitgenommen. Dabei hätte sie ihr dort helfen, ihr Entsetzen mildern können. Vielleicht würde sie ihr diesmal helfen. Der Lichtstrahl ihrer Stablampe stieß wie eine Lanze ins Dunkel vor ihr, als Linden sich der offenen Tür näherte und zögernd über die Schwelle trat.
Mit lautem Knacken, als zersplittere eine Hartholzplanke, schlug ein Blitz so nahe ein, dass sie die Druckwelle in der Magengrube spürte. Für einige Augenblicke war der Flur von grellweißem Licht erfüllt, das so intensiv war, als scheine es ihr durch die Wände in die Augen. In diesem Moment schienen der Flur und Linden selbst durch die wilde Energie des herabzuckenden Blitzstrahls in eine andere Realität versetzt worden zu sein. Die Haare schienen sich ihr zu sträuben, als wieder Dunkelheit über ihr zusammenschlug, den Lichtstrahl der Stablampe auslöschte, sie blind zurückließ. Stechender Ozongeruch brannte ihr in der Nase.
Gott, das war nahe ...
Dann schaffte ihre Stablampe es wieder, den Raum hinter der Tür schwach zu erhellen. Vor ihr lag ein weiteres Trümmerfeld mit den Überresten eines seit zehn Jahren leer stehenden, vernachlässigten Hauses: abgefallener Verputz und aufgewölbte Fußbodenbretter, zersplittertes Fensterglas, allerhand Abfälle und Berge von Sand und Staub. In diesem verwahrlosten Zustand wirkte das Schlafzimmer giftig, sogar tödlich, als sei Thomas Covenants Krankheit in den Jahren seines Hierseins in die Wände eingesickert.
Wie die Sofapolster im Wohnzimmer war die Matratze auf dem Einzelbett im Lauf der Zeit von Ungeziefer zernagt und aufgerissen worden. Einen Augenblick lang glaubte Linden, das Bett so zu sehen, wie es nach Joans Entführung und Covenants Ermordung dagestanden hatte:
Weitere Kostenlose Bücher