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Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)

Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)

Titel: Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Ballantine
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glückliche Erinnerung geworfen. Also war er geflohen, hatte einen anderen Namen angenommen und Zuflucht im Orden gesucht. Und jetzt, binnen eines Augenblicks, begann er an all dem zu zweifeln.
    Das Flüstern dauerte an, als wollte es seine Unsicherheit verspotten. Es klang jetzt rau und fordernd – als würden seine schlimmsten Gedanken an die Oberfläche steigen. Merrick schwirrte der Kopf, und er hatte das schreckliche Gefühl, vielleicht den Verstand zu verlieren. Nein – das würde er nicht zulassen. Wahnsinn kam schrittweise, nicht als plötzliche Lawine halb gehörter Stimmen. Vielleicht hatte die Verbindung, die Sorcha mit dem verfluchten Jungen Prätendenten geknüpft hatte, Konsequenzen; vielleicht wurde er letztendlich von der Macht des Rossin verdorben.
    Dann, gerade als das Flüstern so laut wurde, dass er beinahe Worte ausmachen konnte, brach es ab. Die Stille war abrupt und vollkommen; die Atmosphäre wandelte sich von angespannt zu heiter. Merrick stand reglos da und hielt den Atem an. Seine Gedanken rasten auf der Suche nach einer Erklärung.
    Es war kein Geist gewesen. Was konnte es dann gewesen sein? Wäre er doch daheim in der Mutterabtei! Er hätte die größere Bibliothek dort plündern oder mit Diakon Reeceson ein Wort im Vertrauen reden können, denn eine Erklärung blieb: ein wildes Talent.
    Zitternd setzte Merrick sich auf den nächsten Stuhl. Er hatte versucht, jede Erinnerung an den Zwischenfall vor dem Gefängnis zu verdrängen. Unmittelbar nachdem sie Raed befreit hatten, wären die drei beinahe von einem wütenden Mob in Stücke gerissen worden. Er hatte keine Ahnung, wie er all diese Menschen von Kummer übermannt auf die Knie hatte sinken lassen – aber er hatte es getan.
    Es war gefährlich, zuzugeben, über ein wildes Talent zu verfügen. Sie waren vom Orden nicht zugelassen. Selbst Diakon Reeceson, ein altes und ehrwürdiges Mitglied des Ordens, hielt seine Gabe der Hellsicht geheim und sprach nur mit sehr wenigen darüber. Als Merrick also überlegte, was dieses Flüstern bedeuten mochte, welches wilde Talent es vielleicht offenbarte, schauderte er.
    Doch er durfte der Furcht nicht nachgeben. Diakone mussten sich der Dunkelheit stellen. Also erhob er sich von seinem Stuhl und stolperte zu den Regalen, von denen die Geräusche gekommen waren. Natürlich standen sie in den dunkleren Winkeln der Bibliothek. Hier hinten war alles mit Spinnweben bedeckt, und der Geruch von Staub wetteiferte mit dem Aroma alter Bücher um die Vorherrschaft.
    Ein schwaches Echo des Geflüsters lockte ihn zu der geschnitzten Rückwand.
Folge. Folge.
    Merrick strich mit den Händen über das Holz und schickte sein Zentrum in die Dunkelheit aus.
Versteckt und geheim.
Wenn er die Lebewesen in seiner Umgebung wahrnahm, war es ähnlich, aber nun hatte er in seinem Geist einen eigenartigen, trockenen und modrigen Geschmack. Das zarte Klicken unter seiner rechten Fingerspitze klang überlaut, aber als er die Tür des Geheimfachs beiseiteschob, war es so still wie ein einsames Grab.
    Das Fach dahinter war mit Büchern vollgestopft, die – dem vielen Staub nach zu urteilen – seit sehr langer Zeit nicht mehr angerührt worden waren. Noch bevor er sie hochhob, wusste er, wovon sie handelten. Der Sternenkreis auf dem Einband verriet es ihm, und der Schauer, der ihm über den Rücken lief, bestätigte, dass dies Bücher über den einheimischen Orden waren. Bücher, die beim Sturz dieser Organisation hätten zerstört werden sollen.
    Natürlich gab es viele Volkssagen über die Vergangenheit – wie die Menschen sich gegen den alten Orden erhoben und die herrschenden Kaiser jener Zeit ihn verfolgt hatten –, aber seine Bücher waren verbrannt und seine Geschichte war vorsätzlich zerstört worden, und kein Mitglied des Ordens des Auges und der Faust wusste etwas über ihn. Merrick entdeckte nicht zum ersten Mal, dass in den Abteien nicht alles so war, wie es zu sein schien. Er stieß einen langen, bedächtigen Atemzug aus und griff dann nach dem Text. Es war das Tagebuch eines Abtes von Chioma, aber definitiv nicht das des gegenwärtigen Abts. Merrick überflog die Einträge, und ihm gefror das Blut in den Adern, als ihm klar wurde, dass dies keine Aufzeichnungen über Geister waren, die vernichtet oder verbannt worden waren. Stattdessen sah er Wörter wie »gefangen«, »widerspenstig« und – am schaurigsten – »nützlich«. Es ergab allmählich einen Sinn. Im Gegensatz zu seinem Orden hatte der

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