Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
Vorstellung dessen überlagert, was möglicherweise mit ihrem Partner geschah.
Plötzlich kam ihr der schreckliche Gedanke, sie habe sein Leben vielleicht gegen das des Jungen Prätendenten eingetauscht, indem sie Merrick nach Orinthal gebracht hatte.
Langsam schloss Sorcha die Augen und versuchte, das ruhige Zentrum zu finden, das der Orden sie so gut gelehrt hatte. Sie musste Merrick vertrauen. Der junge Mann war stark, diszipliniert und intelligent genug, um auf sich aufzupassen.
Er ist nicht tot,
wiederholte sie im Stillen.
Das würde ich spüren. Ganz sicher.
Ihr Schlaf war voll wirrer und unterbrochener Träume, in denen all ihre früheren Fehler sie heimsuchten. Sorcha verbrachte eine unruhige Nacht.
Am nächsten Morgen war sie so gerädert, dass sie nur mit Mühe aus dem Bett kam. Die Verbindung schmerzte wie ein wunder Zahn und erinnerte sie daran, dass Partner mehr teilten als nur eine geistige Verbindung. Für gewöhnlich ging ein Teil von Merricks jugendlicher Energie auf sie über und linderte ihre kleinen Wehwehchen. Ohne ihn an ihrer Seite waren sie mit voller Wucht zurückgekehrt. Dabei war sie noch gar nicht so alt. Der Orden würde noch lange nicht daran denken, sie abzuziehen, aber das Leben einer Diakonin war nicht einfach. Alte Wunden schmerzten, und gebrochene Knochen erinnerten sich an vergangene Gewalt.
Sie setzte sich mit einem lauten Stöhnen auf und stellte fest, dass jemand eine wunderschön bestickte, türkisfarbene Seidenrobe ans Fußende ihres Bettes gelegt hatte – das Muster zeigte Paradiesvögel und das Symbol Hatipais. Sorcha hob sie auf, befühlte den glatten Stoff und überlegte, was zu tun war. Ohne Merricks Hilfe würde es schwer für sie werden, hinter die Maske des Prinzen zu kommen. Sie brauchte jede Waffe in ihrem Arsenal – und es war offensichtlich, dass der Prinz eine Vorliebe für hübsche Gesichter hatte.
Schnell zog Sorcha sich aus und schlüpfte in die Robe. Für eine Sekunde befürchtete sie, ihre Handschuhe zurücklassen zu müssen – das hatte sie noch nie getan. Zum Glück enthielt die Robe Taschen, daher konnte sie das dicke Leder einmal falten und die Handschuhe hineinstopfen.
Als sie sich etwas besser fühlte, weil sie wusste, der Sitz ihrer Macht würde bei ihr bleiben, ging sie zum größten Luxus von ganz Orinthal, den kalten Quellwasserduschen. In einem Wüstenkönigreich war Wasser kostbarer als Gold oder Juwelen, daher war es nur angemessen, dass der Prinz seinen Frauen Einrichtungen bot, die der Neid ganz Chiomas waren.
Der Geruch von fließendem Wasser nach so langer Zeit in der brütenden Hitze genügte, um Sorcha ein wenig schwindelig zu machen und ein Lächeln auf ihre widerstrebenden Lippen zu zaubern. In Vermillion – einer Stadt, die ihr Leben halb mit den wechselnden Gezeiten einer Lagune verbrachte, einem Ort von Brücken und Kanälen – war Wasser ein Transportmittel; hier war es Leben. Sein Geräusch war infolgedessen magisch.
Der Duschraum war nicht groß – er bot Platz für bestenfalls fünfzehn Frauen –, aber er war spektakulär. Tausende Lapislazulifliesen bedeckten die Wände, und das Wasser kam aus der Decke und wurde von goldenen, in Kopfhöhe angebrachten Hähnen in einen Strahl gelenkt. In der Mitte befand sich ein trockener, erhöhter Bereich, wo man Gewänder ablegen oder sich ausstrecken konnte – oder beides.
Allein die Mechanik einer solchen Leistung verschlug Sorcha fast den Atem. Sie war die Askese des Ordens gewöhnt, wo man Waschen als eine Notwendigkeit ansah – nicht als etwas, das man genoss. Sie ließ ihre Robe auf den Bereich in der Mitte fallen, wo sie sie mit Adleraugen bewachen konnte, und trat dann voller Vorfreude, die sie für einige Sekunden ablenkte, unter den Wasserstrahl.
Sie war nicht allein. Zwei Gruppen von Frauen nutzten ebenfalls den Luxus einer frühmorgendlichen Dusche. Die geschwungenen Wände des Raums vermittelten die Illusion von Privatsphäre.
Zwei junge Frauen – eine dunkel wie die Nacht, die andere mit der olivfarbenen Haut des Nordens – blickten mit den Augen von Rehen, die einen Wolf beobachteten, verstohlen zu ihr hinüber. Die dunklere Schönheit wurde von der anderen gewaschen, und die Seife auf ihrer Haut roch nach Lilien. Es sah aus, als hätte sie die Fürsorge ihrer Freundin bis zu dem Moment genossen, in dem sie die nackte Diakonin gesehen hatte.
Sorcha hatte nicht die Absicht, das zu persönlich zu nehmen. Selbst ohne Umhang oder Handschuhe wurde sie
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