Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
modernen Bildschirms und eines bequem gefederten fünfbeinigen Drehstuhles für die Dame auf der anderen Seite des Schreibtisches hinterlassen, die aufgrund ihres Körpergewichtes offensichtlich einen Bürostuhl bekommen hatte, der den aktuellen Sicherheitsbestimmungen entsprach. Sie blickte nicht auf, als ich das Büro betrat.
»U nas sejtschas ne prijomnoje wremja, eto she wedj napissano na dweri. Wy tschto, nje umejetje tschitatj?«
»Tut mir leid, ich verstehe kein Wort.«
Erst jetzt blickte die Dicke auf und musterte mich durch ihre starken Brillengläser. Wahrscheinlich hatte sie vor ein paar Jahren mal kurz aufstehen müssen, als man ihren DDR-Schreibtischstuhl gegen das neue Modell ausgewechselt hatte, darüber hinaus jedoch schien sie mir in diesem Raum geboren zu sein und ihn nie verlassen zu haben.
»Wir haben jetzt keine Sprechstunde, das steht doch an der Tür. Und neues Personal stellen wir zur Zeit nicht ein.«
»Es tut mir leid. Ich spreche kein Russisch.«
»Ist mir egal, ob Sie Russisch sprechen oder Chinesisch. Jetzt ist jedenfalls keine Sprechstunde.«
Die Dicke hielt das Thema damit für erledigt und widmete sich wieder ihrer Arbeit, vielleicht aber auch einem Kochrezept.
»Mein Name ist Dr. Hoffmann. Ich bin Arzt. Es geht um einen Ihrer Mitarbeiter. Mischa Tschenkow. Er hat für Sie in der Humana-Klinik gearbeitet. Und er war Patient auf meiner Station.«
»Tschenkow ... sagt mir nichts. Außerdem, ich dürfte Ihnen sowieso keine Auskünfte geben über unsere Mitarbeiter.«
Diese Antwort kannte ich von Frau Moser aus unserem Personalbüro. Es mag ja einige Unterschiede gegeben haben zwischen Westdeutschland und der DDR, die internationale Solidarität der Verwaltungsangestellten gehörte jedoch sicher nicht dazu. Hätte Lenin auf die Verwaltungsangestellten statt auf die Arbeiter und Bauern gesetzt, wäre die Dicke wahrscheinlich immer noch Kadersekretärin im FDGB und würde mich an meinen Kaderleiter verweisen.
»Und ... wer dürfte mir wohl Auskunft geben?«
»Höchstens unser Chef. Aber ich glaube nicht, daß der Ihnen Auskunft geben würde.«
»Und Ihr Chef – wie heißt der bitte?«
»Das geht Sie gar nichts an.«
»Ist das ein Firmengeheimnis? Kann ich ihn mal selbst fragen?«
Ich deutete mit dem Kopf auf die gepolsterte Verbindungstür zum nächsten Raum. Ich glaubte nicht, daß CareClean für seine Verwaltung mehr als zwei Räume und das gemütliche Wartezimmer brauchte.
»Sie dürfen hier nicht rein. Außerdem ist der Chef nicht da.«
Da war ich mir nicht so sicher. Allerdings, was hätte der Chef einer Reinigungsfirma den ganzen Tag in seinem Büro zu tun, zumal mit einer so kompetenten Kraft im Vorzimmer? Es sei denn, dieser geheimnisvolle Chef säße dort und hörte sich, nach sozialistischer Manier, unser Gespräch über eine Abhöranlage aus der guten alten Zeit an.
»Gut. Dann warte ich hier auf Ihren Chef. Wann kommt der wohl zurück?«
»Sie können hier nicht warten, ich habe zu arbeiten. Außerdem glaube ich nicht, daß Herr ..., daß der Chef heute noch kommt.«
Langsam wurde es mir etwas zu albern mit der Dicken.
»Nun hören Sie mal gut zu, liebe Frau. Es geht um einen Fall von Lungentuberkulose.«
Damit hatte ich nicht wirklich gelogen, schließlich war die Möglichkeit einer offenen Lungentuberkulose der Grund dafür gewesen, daß Mischa nach seinem angeblichen Treppensturz auf meiner Station gelandet war.
»Es geht also um Lungentuberkulose«, fuhr ich fort, »und damit um das Bundesseuchengesetz, das seit 1990 auch hier gilt, nur zu Ihrer Information. Und Lungentuberkulose ist eine ansteckende Krankheit. Ich brauche also nicht nur Informationen über Ihren Mitarbeiter Mischa Tschenkow, sondern auch über alle Leute, mit denen er zusammen gearbeitet und eventuell zusammen gewohnt hat.«
Die Dicke schaute mich an. Durch die starken Brillengläser konnte ich nicht erkennen, ob ich für wenigstens ein bißchen Unruhe gesorgt hatte. Wenn dem so gewesen sein sollte, wurde es jedenfalls nicht in körperliche Aktivität umgesetzt – in den Griff nach einem Stift zum Beispiel oder einer Zigarette. Die Dicke rührte keinen Millimeter ihres umfangreichen Körpers.
»Sagen Sie mal, Doktor ...«
»Dr. Hoffmann.«
»Sagen Sie mal, Dr. Hoffmann, so eine Tuberkulose, oder mögliche Tuberkulose, ist das nicht mehr etwas für den Amtsarzt?«
Gut, jetzt wußte ich es. Ich hatte die Dicke unterschätzt. Man soll nie die Intelligenz alter SED-Kader verkennen.
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