Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
Sommerabendgesprächen und kurzem Lachen waren zu hören. Hinter Margrets Wohnungstür Stille. Keine Stimmen, keine Musik, kein Fernseher. Erst jetzt fielen mir ein offensichtlich neues Sicherheitsschloß und zwei große Riegel auf. Ich klingelte, keine Reaktion. Ich klingelte heftiger.
Vorsichtig öffnete Margret die Tür einen Spaltbreit, die Sicherheitskette blieb vorgelegt.
»Was willst du, Felix?«
Sie war abgeschminkt und in dem Bademantel, dessen Frottee schon zu meiner Zeit ziemlich ausgedünnt und der für heutige Verhältnisse viel zu kurz war. Mit Sicherheit hatte sie keinen Besuch erwartet.
»Interessante neue Schlosserarbeit an deiner Tür. Hattest du Probleme mit unerwünschten Besuchern in letzter Zeit?«
»Felix, ich bin müde und praktisch im Bett. Sag einfach, was du willst.«
»Ich will wissen, wer dir das Veilchen verpaßt hat.«
»Ich habe dir erzählt, wie das passiert ist.«
»Und ich will wissen, warum man es dir verpaßt hat.«
»Geh nach Hause, Felix. Du bist nicht Prinz Eisenherz oder der heilige Georg, der Drachentöter. Du bist nicht für mich verantwortlich. Tue mir einen Gefallen. Kümmere dich um dein Leben. Und halte dich aus meinem raus.«
Ich lehnte mich an ihren Türrahmen.
»Falsch, Margret. Es geht nicht um dein Leben. Oder um meines. Jedenfalls nicht nur. Ich weiß nicht genau, worum es geht. Aber ich werde so lange hier vor deiner Tür stehenbleiben, bis du mich hereinläßt. Und dann werden wir gemeinsam herausfinden, worum es geht.«
»Du kannst da stehen, bis du schwarz wirst. Ich gehe ins Bett.«
»Einen Moment, Margret. Vielleicht werde ich lieber bei deinen Nachbarn klingeln oder bei den Leuten über dir. Ich kann sie ja fragen, ob es vor ein paar Tagen Krach in deiner Wohnung gegeben hat oder ob du in letzter Zeit häufiger die Treppe hinuntergefallen bist. Wie würde dir das gefallen?«
Ich haßte mich für diese Drohung, aber Margret hakte mit einem resignierten Seufzer die Kette aus, öffnete die Tür und ließ mich ein.
Ich folgte ihr in die Küche, wo sie sich ein Stück Käse aus dem Kühlschrank holte. Sie setzte sich an den Küchentisch und teilte sich den Käse mit ihrer Katze, die über meinen Besuch ebensowenig begeistert schien wie ihre Herrin. Ich bekam nichts angeboten.
Stumm saßen wir uns gegenüber. Der Bluterguß um ihr rechtes Auge war ohne Schminke deutlich größer und schattierte vom inneren Blau nach außen in Grün, Gelb und Rot, Zeichen des Abbaus der durch die Verletzung freigesetzten roten Blutkörperchen.
Medizinisch gesehen, bestand also sehr wohl eine Verbindung zwischen Margrets blauem Auge und der Gelbsucht des toten Mischa. Wenn rote Blutkörperchen nicht nur in einem Bluterguß lokal freigesetzt werden, sondern zum Beispiel durch eine allgemeine Vergiftung geschädigt im ganzen Körper absterben, kommt es zur Gelbsucht, zum Ikterus. Und ich war hier, um herauszufinden, ob diese Verbindung über den rein medizinischen Aspekt hinausging.
Margret blieb weiter stumm und schien ein mir verborgenes Muster auf dem Küchentisch zu studieren. Ich holte die Blutkonserve, die sie mir gegeben hatte, aus meiner Tasche und stellte sie zwischen uns auf den Tisch. Das deutsche Etikett hatte ich abgelöst gelassen.
»Ich denke, du hast mir diese Blutkonserve neulich nicht ohne Grund gegeben?«
Margret schaute nicht auf. Sie wußte auch so, wovon ich sprach.
»Neulich war neulich, und heute ist heute.«
»Du meinst, neulich war, bevor du so unglücklich auf der Treppe gestürzt bist?«
»Unter anderem.«
»Und heute würdest du mir diese Blutkonserve nicht mehr geben?«
Margret antwortete nicht. Ich stand auf, holte zwei Gläser aus ihrem Küchenregal, eine Weißweinflasche aus dem Kühlschrank und schenkte uns beiden ein. Ohne mich anzuschauen, nahm Margret einen kräftigen Schluck.
»Weißt du, Margret, mich hat man bisher noch nicht zusammengeschlagen. Allerdings, zwei Typen aus Osteuropa waren kurz davor, als ich mich in der Pension umgeschaut habe, in der dieser tote Russe gewohnt hatte. Aber immerhin wurde in meine Wohnung eingebrochen, das war fast wie eine körperliche Verletzung, und sicher eine Drohung.«
»Wer hat bei dir eingebrochen?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht dieselben Leute, die dich zusammengeschlagen haben.«
Margret reagierte nicht, widersprach aber auch nicht. Sie studierte weiter den Küchentisch, als könne ihr dessen Maserung einen Weg aus dem Labyrinth ihrer Probleme weisen.
»Es ist immer das
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