Die Saat der Bestie (German Edition)
Körper mit einer dünnen Schicht aus Eis. Für Sekunden ist sie sich mit seltsamer Gelassenheit sicher, tot zur Seite zu fallen und das Spiel verloren zu haben, bevor es überhaupt begonnen hat. In diesen wenigen Augenblicken bemerkt Sam auch den bestialischen Gestank, der wie ein Umhang hinter David in den Laden geweht ist. Billiger Alkohol, Urin und schmutziger Schweiß.
David scheint sie über Stunden anzustarren. Sein Blick bohrt sich tief in ihren Körper, gräbt sich unter ihre Haut und zerteilt Nerven und Muskelgewebe, bis er endlich ihre Seele erreicht hat und diese auf ewig verdirbt. Das Gefühl, wie Schlachtvieh gefesselt vom Balken in der Kirche zu hängen, könnte nicht entsetzlicher sein. Dann wendet er sich von ihr ab, sein jagender Blick lässt sie frei und durchsucht weiterhin die Dunkelheit.
Sam kann sehen, wie sich die Finger seiner freien Hand öffnen und schließen, öffnen und schließen. Ein tiefes Brummen erfüllt den Raum, ähnlich dem heimtückischen Knurren eines Raubtiers. Die Luft vibriert und verzerrt die Realität.
Schließlich dreht sich David um, schleicht durch das Dämmerlicht des Schaufensters und verschmilzt mit den Schatten in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes. Sam hört ihn atmen, schwerfällig, als sei er ein alter Mann, der beim Schlafen keine Luft bekommt.
Sie richtet sich langsam auf. Ihre Bewegungen kommen ihr behäbig und bleiern vor. Mit dem Rücken presst sie sich gegen die Wand und schiebt sich langsam nach oben, bis sie auf Beinen steht, die mit Gummi gefüllt zu sein scheinen. Sie konzentriert sich auf ihre Atmung, versucht, durch den offenen Mund Luft zu bekommen.
In der Schwärze, keine fünf Meter von ihr entfernt, zeichnet sich David als düsteres Gespenst vor einer schwarzen Regalwand ab. Er bewegt sich geduckt, wie ein Raubtier, das sich seiner sicheren Beute nähert. Sie kann hören, wie er schnüffelt.
Sam stößt sich von der Wand ab. Ihre freie Hand sucht so lange wie möglich Kontakt mit der glatten Tapete. Dann steht sie frei im Raum. Sie kam sich nicht mehr so schutzlos vor, seit sie die Kirche und ihr Gefängnis verlassen hat. Es gibt nichts mehr, das ihr Sicherheit bietet. Sie steht haltlos und ohnmächtig, wie ein kleines Kind, das sich in ein Raubtiergehege gewagt hat.
Der Teufel bewegt sich wenige Meter vor ihr durch die Nacht. Sam macht einen weiteren Schritt. Ihre Knie zittern, wie sie es früher getan haben, wenn sie ihre ersten Verabredungen mit Jungen hatte. Damals bebten sie vor Aufregung, diesmal vor nackter, uralter Angst, die sie zu lähmen droht.
Der Raum beginnt, sich zu drehen. Sam blinzelt und schluckt eine bittere Flüssigkeit herunter, die ihr durch die Kehle in den Mund gestiegen ist. David grunzt. Er greift ins Regal und reißt mehrere Hemden heraus. Das trockene Rascheln von Stoffen zerstört die ruhige Melodie des Regens. Eines der Hemden behält er in der Hand. Sam kann hören, wie er daran schnüffelt.
Ein weiterer Schritt … Jetzt steht sie im dunklen Flimmern der Regentropfen auf dem Schaufenster, ihrer letzten Sicherheit, der Schwärze, beraubt. Wenn David sich jetzt umdreht, wird er sie sehen können.
Sams Hand wird taub, so fest klammern sich ihre Finger um den Stiel des Hammers. Ihr Blick fällt erneut auf Lilly – ein schwarzer Dämon vor dem verwaschenen Grau der Nacht.
Sam ist sich sicher, dass ihr Herzschlag sie verraten wird. In ihrem Kopf explodieren Granaten, als würde ein Krieg ihren Verstand verwüsten. Sie hebt den Hammer.
David bleibt stehen. Plötzlich ist er eine weitere, starre Puppe, die jemand vor Monaten in eine Ecke des Ladens gestellt hat. Die Arme zur Seite hin ausgestreckt, den Kopf zur Seite geneigt. Sein nackter Körper scheint mit uraltem Staub bedeckt. Ein düsterer Engel, der sich den Rest der Welt Untertan macht.
»Hallo, Sammy.«
Das heisere Flüstern pflügt wie eine Feuersbrunst durch den Raum. Ihren Kindernamen aus dem Mund dieses Monsters zu hören, zieht ihr für einige Augenblicke den Boden unter den Füßen weg. Sie hat das Gefühl zu fallen. Fast wünscht sie sich zu fallen, in eine tiefe, stille Grube, fort aus dieser grauenvollen, dämonischen Welt, an einen Ort, an dem es keine Teufel namens David gibt und wo sie sich endlich schlafen legen kann. Doch der Abgrund öffnet sich nicht, um sie zu erlösen. Die Realität bleibt – ein harter, schwitzender Alptraum. So steht sie mitten in Lillys Laden, während die Regentropfen an der Schaufensterscheibe hinablaufen
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