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Die Saeulen der Macht

Die Saeulen der Macht

Titel: Die Saeulen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Winter
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ziehen musste. Die Erde in Birin ist steinig und so hart, dass man einen Ochsen braucht, um den Pflug hindurchzuziehen. Wir hatten keinen Ochsen. Meine Mutter und ich, wir haben versucht, den Pflug selbst zu ziehen, wir haben gesät, aber es hat nicht geregnet. Als der Regen endlich kam, war es ein Sturzbach, der alles davongeschwemmt hat. Irgendwann musste ich auch zum Haus des Grafen gehen. Ich habe eine Stellung als Zimmermädchen bekommen. Das hat mir gefallen, denn beim Staubwischen konnte ich mir die Bücher ansehen. Ich habe die Stammbäume betrachtet und die Wappen der Adelsfamilien und der Hohen Häuser. Ich konnte nicht lesen, doch die Bilder waren schön. Die Tiere und die Blätter und all das. «
    Er machte einen Schritt nach vorne und horchte angespannt.
    Â» Meine Schwester hat sich während ihrer Arbeit mit einem der Wächter angefreundet. Von ihm erfuhr sie die Namen der Adelsfamilien, nach denen ich fragte. Ich prägte mir die Bilder ein und beschrieb sie ihr, und am nächsten Tag sagte sie mir, welcher Name dazugehörte. So habe ich Lesen gelernt. «
    Â» Wappen, hm? «
    Sie rieb sich den Nacken. » Das Blatt « , sagte sie. » Ich habe schon als kleines Kind gefragt, was es bedeutet, warum ich es tragen muss. Erst durch die Bücher habe ich erfahren, dass es viele Menschen mit anderen Zeichen gibt. Darf ich… « Sie zögerte. » Darf ich deinen Nacken berühren? Wie fühlt es sich an, wenn man nicht gezeichnet ist? «
    Seine Sinne waren nach vorn gerichtet, in den Nebel. Er hielt still, als das Mädchen die Hand ausstreckte und sie ihm auf den Hals legte, direkt unter dem Zopf. Ihre Hand war kalt und klamm, trotzdem brannte seine Haut dort, wo sie ihn anfasste.
    Â» Unglaublich « , flüsterte sie. » Weich und glatt. Wie Schnee, auf dem niemand Spuren hinterlassen hat. «
    Â» Hast du unseren hübschen Knaben schon gefragt? Seine Haut ist bestimmt noch weicher und glatter. «
    Â» Du hast da eine kleine Beule. « Sie zog die Finger zurück und starrte ihn an. » Hast du einmal ein Zeichen gehabt und es dir aus der Haut geschnitten? Ist das eine Narbe? Du bist auch ein Leibeigener gewesen! «
    Â» Willst du mich ärgern? Da ist nichts. «
    Er ließ die Hände unten, ohne die Stelle zu überprüfen, an der ihre Berührung immer noch brannte, als hätte sie ein unauslöschliches Feuer entzündet. Auf einmal wollte er nicht, dass sie ging.
    Â» Ich habe einen Bruder « , sagte er. Er erzählte ihr das Einzige, was sie niemals mit seiner wahren Herkunft in Verbindung bringen würde, weil nur eine Handvoll Menschen davon wusste. » Er sitzt nie mit uns am Tisch, wenn wir essen. Er hat keine Kammer neben unseren Zimmern, sondern dort, wo sonst niemand wohnt. Wenn wir feiern, hält er sich abseits, denn die Gäste dürfen ihn nicht sehen. «
    Â» Warum? « , fragte sie.
    Â» Er ist verkrüppelt zur Welt gekommen. Seine Beine tragen ihn kaum, sie sind verdreht, und wenn er geht, sieht es aus, als würde er hüpfen. Einer seiner Arme ist nicht lang genug, es ist kaum mehr als eine Hand, die aus der Schulter wächst, und an der anderen Hand hat er nur vier Finger. «
    Jalimey sog scharf die Luft ein.
    Â» Mein Vater hält es für undenkbar, dass er ein solches Wesen gezeugt haben könnte, deshalb nennt er ihn Bastard. Er hätte ihn gleich nach der Geburt getötet, wenn meine Mutter nicht so heftig geweint hätte. Also durfte der Krüppel leben, aber niemand spricht von ihm, alle tun, als gäbe es ihn nicht. «
    Â» Wie heißt er? « , fragte sie.
    Â» Jirun « , antwortete er. » Ja, das ist sein Name. Manchmal vergesse ich das, weil alle ihn nur ›den Krüppel‹ nennen. Er heißt Jirun. «
    Jalimey schwieg, länger, als diese kleine Enthüllung es verdient hatte, diese Erinnerung, die wie ein Stachel war und dennoch ein Lächeln auf sein Gesicht lockte.
    Â» Er wird stolz auf dich sein, wenn du zurückkehrst und deine Geschichte erzählst « , sagte sie schließlich.
    Unvermittelt bereute Tahan, dass er Jirun erwähnt hatte, bereute es so intensiv, dass er sie am liebsten geschüttelt hätte, um diesen Namen in ihr auszulöschen. Auf keinen Fall durfte sie das Noan erzählen oder sonst irgendjemandem– diese Wunde im Stolz des Tyrannen Ilan Dor Hojan.
    Â» Ich habe das nur erfunden « , sagte er. »

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