Die Säulen des Feuers
Lachen erklang – ein messerscharfes Lachen schnitt in ihre Seele: Roxane!
Ja, Roxane – ein so wunderbares Wesen, humpelte durch das Tor, mißgestaltet und gewaltig, und es schrumpfte, bis Tasfalens Schönheit es verhüllte.
Und dann streckte dieses Wesen – das zum Teil hochgeborener, sterblicher Edelmann war, zum Teil Hexe und zum Teil Haught – die Hand aus, um Ischades Arm zu nehmen, als wolle es sie zu einem Galaempfang geleiten.
Ischade wich den Augen dieser Gestalt nicht aus, aber sie preßte beide Hände an ihren Körper, denn sie befürchtete, daß sie in Gefangenschaft geriete, wenn sie dieses Wesen berührte. Janni hatte hier das letzte bißchen Selbstinteresse verloren, das ihn bisher im Interesse des Lebens, das er führte, hatte handeln lassen. Die Augen, die sich in ihre bohrten, waren golden und mandelförmig, und in ihrer Tiefe glühte ein purpurnes Feuer, das nicht da sein dürfte.
Sie zwang ihre bleischweren Glieder zum Gehorsam und wich einen Schritt zurück, beobachtete zuerst ihre Füße, dann ließ sie den Blick über den Horizont schweifen, über den sich Schutzzauber zogen, die hier viel schwächer waren als in Freistatt.
Nikos sternförmige Wiese, einst von saftigem, immerwährendem Grün die Verkörperung des Seelenfriedens, war von Frost gezeichnet, braun und grau und mit Eisnadeln überzogen. Von Bäumen, die ihre dichtbelaubten Äste ausgebreitet gehabt hatten, hingen nun statt Blättern Fleischfetzen und sich windende Wesen, winzigen Menschlein ähnlich, schreiend wie Kätzchen, die ertränkt werden.
Und der Bach, der Nikos Lebensgezeiten war, floß nun in roten und blauen und rosa und goldenen Wirbeln: Blut, das vergossen worden war und noch vergossen werden würde – und das von Magie in Bewegung gehalten wurde. Und ihnen folgten Nikos Glaube und Götterliebe.
Tasfalen sagte mit betörender Stimme: »Komm, Liebste. Komm, meine Schöne. Wir wollen speisen.« Er blickte zu den mit furchterfüllten Wesen behangenen Bäumen. »Erntezeit. Die Früchte sind reif und süß.«
Da erkannte sie, daß ihre einzige Rettung der Bach war.
Aber sie wußte nicht, welche Folgen es haben würde, wenn sie tat, was ihre Weisheit ihr riet: einen Schluck daraus zu nehmen.
Doch ehe sie den Mut verlor oder Lockungen erliegen konnte, wirbelte sie herum und sprang in das knietiefe Wasser.
Und bückte sich. Und trank.
Und als sie die tropfenden Lippen hob, sah sie Niko mit ruhigem, heilem Gesicht am gegenüberliegenden Ufer sitzen. Sein verschmitztes Lächeln kam und ging, und sie bemerkte, daß er die prächtige, von der Entelechie der Träume geschmiedete Rüstung trug, den emaillierten Harnisch, das Schwert und den Dolch.
»Dann ist es wohl ein Traum?« fragte sie. Sie spürte, wie ihr das eisige Wasser mit den vier unterschiedlichen Geschmacksrichtungen das Kinn hinunterrann, und hörte schwere, tappende Schritte hinter sich, die viel lauter waren, und rasselnden Atem, der viel tiefer war, als Tasfalens Körper hervorbringen könnte.
»Dreht Euch nicht um«, riet ihr Niko, als bilde er einen Schüler in Kriegskunst aus. »Seht es nicht an, lauscht nicht. Schließlich ist dies mein Ruheort – nicht ihrer.«
»Er ist auch nicht meiner, Streiter. Ebensowenig wie Ihr mein seid.«
»Im Gegensatz zu ihnen? Ich weiß.« Kein Abscheu sprach aus dem Blick des bandaranischen Kämpfers, nur unendliche Geduld. Und während Ischade ihn anblickte, veränderte sich sein Gesicht, verzerrte sich in einer Metamorphose, die alle Qualen der letzten Zeit einschloß – die Augen rollten hoch, die Wangen öffneten sich über den Knochen, die Lippen verfärbten sich und rissen auf, Zähne zersplitterten und brachen, Wunden füllten sich mit Blut.
Dann verlief dieser Vorgang rückwärts, und ein gutaussehender Mann, noch in der letzten Blüte seiner Jugend, betrachtete Ischade.
»Ihr seid sehr schön, wißt Ihr – in Eurer Seele«, sagte Niko. »Das sieht man hier. Trotz allem.«
Das Tasfalenungeheuer stapfte hinter ihr näher; sie hörte, wie es platschend in den Bach stieg. Fast wäre sie herumgewirbelt, um es zu bekämpfen, die Finger hatte sie bereits für Gegenzauber gespreizt.
Niko schüttelte rügend den Kopf. »Vertraut mir. Dies ist mein Ort. Ihr seid hier willkommen – als ich Hilfe brauchte, seid Ihr hierhergeeilt, wo die Gefahr größer ist, als Sterbliche sich vorstellen können, und habt versucht mir zu helfen. Das habe ich nicht vergessen.«
»Seid Ihr tot?« fragte sie geradeheraus,
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