Die Saga vom Eisvolk 02 - Hexenjagd
wohlgefühlt.
Er kannte ja Charlotte und die Baronin sehr gut, und ihm gefiel der Gedanke, daß alles das eines Tages ihm gehören würde. Außerdem wohnten seine Geschwister ja gleich nebenan, so daß er nie allein zu sein brauchte. Nun nannte er seine beiden Mütter »Mutter Silje« und »Mutter Charlotte«. Und die Baronin, die war »Großmutter«.
Nun kam Sol heraus, um ihren kleinen Bruder zu holen.
Are war ein ganz anderer Typ als seine Geschwister. Ja, alle nannten sie Geschwister, obwohl eigentlich nur Are und Liv das waren. Der Junge hatte etwas Robustes und Erdnahes an sich. Vermutlich war er derjenige von ihnen, der am wenigsten intelligent war, aber das machte er durch seine Liebe zum Land und durch seine ruhige Wesensart wieder wett. Are wußte genau, was er werden wollte. Er würde Bauer werden und mit eigenen Händen Lillegärd - oder den Lindenhof, wie er jetzt hieß - bewirtschaften, und zwar anständig! Er hatte kein rechtes Zutrauen in die unbeholfenen Versuche seiner Eltern, Bauer und Bäuerin zu spielen.
Der Lindenhof am Ende der Lindenallee… Charlotte konnte Tengels Allee von ihrem Fenster aus sehen. Er hatte sie jetzt durchgängig bepflanzt, und die Bäume waren ein ganzes Stück gewachsen. Die Linden waren schon mindestens so hoch wie ein ausgewachsener Mann.
Sie wußte, daß sie vor langer Zeit dort einen Baum bekommen hatte. Ihre Mutter auch, er stand dem von Are genau gegenüber. Sie hatten ihre Bäume gleichzeitig bekommen. Die letzten Linden, die gepflanzt worden waren, hatten keine Namen - noch nicht.
Sol stand draußen und sprach mit dem Knecht. Sie sollte das nicht tun, dachte Charlotte. Sie war so gedankenlos, hatte offenbar die anzüglichen jungen Männer von den umliegenden Herrenhöfen ganz vergessen. Wie zornig sie gewesen war über deren halbherzige Einladungen, und wie wütend Tengel geworden war. Da hatte sogar Charlotte Angst vor ihm gehabt. Der Mann war gefährlich, falls jemand seinen Angehörigen ein Leid tat.
Sie sollte da nicht stehen und sich mit dem großen, starken Knecht unterhalten. Sie war allzu attraktiv und frühreif.
Silje hatte einmal gesagt, daß Sol schon immer eine Vorliebe für Knechte und andere einfache, kräftige Männer hatte. Das stimmt wohl, dachte Charlotte.
Auf dem Hof unten bewunderte Sol die kräftigen Muskeln des Knechts, die unter dem Leinenhemd spielten. Und es gefiel ihr, daß er rot wurde und sich wegdrehte, wenn sie ihn mit ihren Blicken fixierte.
Klaus wagte nicht, sie anzusehen. Zum einen war sie von allzu vornehmer Familie, zum anderen war sie erst vierzehn, und zum dritten war sie so wunderschön, daß es ihm den Atem verschlug. Er sah an sich hinunter und drehte sich rasch und peinlich berührt um.
Sols Augen glitzerten. »Danke, daß du meinen kleinen Bruder hast reiten lassen«, sagte sie sanft. »Komm, Are, nun fängt das Fest an!«
Sie ging zum Haus, merkwürdig erregt, und während sie über den Hofplatz davonschritt, gab sie ihren Hüften bewußt einen kleinen Extraschwung.
Ich muß mit Silje darüber sprechen, dachte Charlotte besorgt. Die süße, kleine Sol - die so sanft und freundlich sein konnte, die sich mit solcher Zärtlichkeit um die jüngeren Kinder kümmerte - würde innerlich verbrennen, wenn niemand es rechtzeitig verhinderte. Sie stürzte sich allzu eifrig in alles hinein, war allzu lebensfroh.
Am Tag darauf erhielt Silje Besuch. Es war eine der Nachbarinnen, die sie in ihrem Atelier überraschte, das sie sich im Haus eingerichtet hatte. Sonst war sie immer sorgsam darauf bedacht, niemanden sehen zu lassen, woran sie arbeitete - aber diesmal war die Magd mit etwas anderem beschäftigt, und die Nachbarin war direkt und unbemerkt ins Atelier gegangen.
Beate, so hieß sie, war eine Frau mittleren Alters, die gerne herüber kam, um über das Leben zu jammern.
Aber jetzt war sie vollständig verblüfft. Eine ganze Viertelstunde lang scharwenzelte sie herum und lamentierte lang und breit über Siljes Arbeit, die doch schlichtweg unerhört sei.
»Daß Ihr Euch für einen solchen Unsinn hergeben mögt, Frau Silje«, sagte sie und deutete mit einem Kopfnicken auf die fast fertig gemalten Tapeten. »Wann findet Ihr denn dann die Zeit, Euch um den Haushalt zu kümmern?«
»Dafür haben wir eine Hilfe.«
»Mein Mann würde so etwas niemals erlauben. Das ist ja unchristlich, das hier, Gott behüte mich vor solchem Unfug! Es ist die Pflicht einer Hausfrau, die Hausarbeit zu machen und dem Mann Untertan zu sein
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