Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
war so entsetzlich eifersüchtig, Tante Marca! Ich wollte den Jungen für mich haben, ertrug es nicht einmal, daß er sich etwas aus seinem eigenen Vater machte. Es gibt so viel, worüber ich mit Mikael sprechen möchte. Ich muß ihm folgen, sofort!«
»Wir bringen das schon in Ordnung, keine Angst! Ich weiß, wo seine Familie in Norwegen lebt. Und der Krieg ist ja auch zu Ende.«
Plötzlich kam Anette ein Gedanke. Jetzt ängstigte sie sich doch um ihren Sohn. »Wenn Mikael nun unterwegs krank wird? Was wird dann aus Klein-Dominic?«
Ihr wurde ganz schwindlig vor lauter Angst, und Marca Christiana mußte ihre ganze Überzeugungskraft aufbringen, um sie zu beruhigen.
Anette bekam Pferd und Wagen, sowie drei starke Männer, die ihr auf der Reise zur Seite stehen sollten. Endlich verließ auch sie Mörby, viele, viele Stunden nach den zwei anderen.
Niemals hatte Dominic gedacht, daß der Ritt so lang werden würde. Für einen Achtjährigen war es nicht so einfach, Tag für Tag auf einem Pferderücken durch die Gegend zu huckeln, auch nicht, wenn der Vater es ihm so bequem wie möglich zu machen versuchte. Manchmal schlief der Junge dann auch in den Armen seines Vaters ein, aber meistens sah er vorüberfliegende Wiesen und Bäume, Seen, die in der Nähe glitzerten - und Wälder, Wälder.
Besonderes geschah auf dieser Reise eigentlich nicht. Aber all die Strapazen, die sie teilten, führten zu einer innigen Freundschaft zwischen den beiden. Sie übernachteten fast immer in einer Herberge, wo Dominic jeden Abend todmüde einschlief - seine Hand fest in die des Vaters gelegt, als habe er Angst, Mikael könne ihn verlassen.
Es war gut zu erkennen, daß der Junge über ihn wachte. Als wolle er verhindern, daß seinem geliebten Vater etwas ganz Bestimmtes widerfuhr.
Nicht immer gelang es Mikael, einen Übernachtungsplatz zu finden. Schließlich ritten sie ja durch eine waldreiche Gegend. Ganz schlimm war es in den Wäldern von Värmland und Solor. Dort bekam er es wirklich mit der Angst. Allerlei Pack machte die Gegend unsicher, und er war für seinen Sohn verantwortlich - auch wenn Dominic anscheinend gegenteiliger Meinung war. Einmal übernachteten sie in einer einsamen Waldkate. Viele Stunden lag Mikael wach und horchte, während er immer wieder von Schwermut gepackt wurde. Merkwürdige Geräusche waren zu hören, aber hier war der Elch zu Hause, und der König der Wälder würde ihnen nichts tun. Ihr größter Feind war der Mensch, die habgierigen Wegelagerer oder die bettelarmen Schlucker, die sich tief in den Wäldern versteckten und so heruntergekommen waren, daß sie andere rücksichtslos ausraubten.
Er hatte gedacht, er könne seine Anfälle von tödlicher Melancholie vor seinem kleinen Sohn geheimhalten. Aber eines Tages, sie hatten Norwegen bereits erreicht und ritten unter der kalten Frühlingssonne dahin, fühlte Mikael, wie eine Angstwelle seinen Körper erfaßte, und die ganze Landschaft verschwand für ihn hinter schwarzem Nebel. Da fragte Dominic bekümmert: »Geht es Euch wieder schlecht, Vater?«
Mikael war sicher, daß ihm äußerlich nichts anzusehen war. Er ließ das Pferd den Weg alleine finden, denn er selbst konnte nichts erkennen. Aber der Kleine mußte gespürt haben, wie schlecht es ihm ging.
»Ja«, antwortete Mikael, »aber es geht gleich vorüber.« Der Junge schwieg eine Weile. So murmelte er: »Wir müssen schnell weiter.«
Sie erreichten Christiania, und Mikael fragte nach dem Weg. Nein, das Kirchspiel Grästensholm lag nicht mehr weit entfernt. Immer nur den Weg geradeaus, dann wären sie bald da.
Wir sind bald am Ziel, dachte Mikael. Die lange Reise nach Hause ist bald zu Ende. Fünfundzwanzig Jahre habe ich dafür gebraucht, fast mein ganzes Leben.
Nachdem er zum letzten Mal nach dem Weg gefragt hatte und endlich im Schein der Abendsonne die Lindenallee hinaufritt, wollte es ihm vor Andacht fast die Brust zerreißen. Lind vom Eisvolk. Ein Name, durch den er jetzt einen Hintergrund bekommen würde.
Auch sein Sohn saß gerade und angespannt auf dem Pferd, Mikael konnte seine Augen nicht sehen, aber er wußte, daß sie jetzt, wie immer bei Sonnenuntergang, das Licht der Sonne widerspiegelten.
Er hielt das Pferd einen Augenblick an. »Der Baum ist ja lebensgefährlich«, sagte er mit Blick auf die große Linde, die mit trockenen Zweigen über der Allee hing. »Die kann ja jeden Moment umfallen.«
Dominic schwieg. Er betrachtete nur verwundert den Baum, als er mit Mikael daran
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