Die Saga von Thale 01 - Elfenfeuer
keine Furcht, doch Vhait spürte ihre Anspannung und er fragte sich, woran sie wohl dachte. Und wieder überkam ihn das dringende Gefühl, sie bei ihrem Aufstieg zu begleiten.
»Du solltest wirklich nicht allein gehen«, nahm er die Fäden ihres Gespräches vom vergangenen Abend wieder auf. Doch schon während er sprach, ahnte er, dass er damit einen Fehler machte. Sunnivah war fest entschlossen allein zu gehen und würde sich auch durch einen erneuten Streit nicht davon abbringen lassen. Wie erwartet reagierte Sunnivah gereizt.
»Lass das, Vhait«, sagte sie warnend. »Du weißt, dass ich allein gehen muss. Ich möchte nicht noch einmal mit dir streiten.« Unvermittelt wurde ihr Blick weich. »Ich möchte nicht, dass wir uns im Streit trennen«, bat sie. »Es ist gut, zu wissen, dass hier unten ein Freund auf mich wartet – wenn ich zurückkomme.«
Plötzlich wünschte sie sich, Vhait möge zu ihr herüberkommen und sie in die Arme schließen. Der Gedanke kam völlig überraschend und verwirrte sie zutiefst. Das Bedürfnis, Trost und Schutz in den Armen eines Mannes zu suchen, war ihr fremd und sie schämte sich für ihre Schwäche.
In diesem Moment erhob die Sonne ihr Antlitz über die Berge und tauchte den Lagerplatz in warmes Licht. »Es wird Zeit!« Sunnivah war erleichtert, die peinliche Situation und das strittige Thema beenden zu können. Entschlossen stand sie auf und legte ihre Decken zusammen. Als sie nach ihrem Rucksack greifen wollte, stutzte sie. Weit geöffnet stand er neben ihrem Nachtlager. Sunnivah war sich sicher, dass sie ihn am Abend fest verschlossen hatte. Verstohlen warf Sunnivah einen Blick auf Vhait, der gerade seine eigenen Sachen zusammensuchte. Warum hatte er in ihren Sachen herumgewühlt? Sie öffnete den Mund, um ihn danach zu fragen, überlegte es sich dann jedoch anders. Es hatte keinen Sinn, sich wieder zu streiten. Sicher hatte er nur nach etwas zu essen für die Morgenmahlzeit gesucht. Schweigend schloss sie den Rucksack, griff nach dem Stab und schulterte ihr Gepäck. Sie war bereit.
»Wenn alles gut geht, bin ich bis zum nächsten Sonnenaufgang zurück«, erklärte sie knapp, vermied es dabei aber, Vhait in die Augen zu sehen. Dieser hatte sich ebenfalls erhoben und kam auf sie zu. Sunnivah hob den Blick, um sich zu verabschieden, und erstarrte. Vhait stand, nur eine Armeslänge von ihr entfernt und sah sie an. Der Ausdruck in seinen dunklen Augen wirkte ernst und besorgt, war aber gleichzeitig so sanftmütig und warm, wie sie es noch nie bei einem Menschen gesehen hatte. Gefühle, die sie nicht in Worte zu kleiden vermochte, spiegelten sich darin wieder.
Sunnivah war verwirrt. Sie wollte etwas sagen, doch Vhait kam ihr zuvor. Mit seinen starken Armen umfing er sie in einer zärtlichen Geste, die mehr sagte als alle Worte. Sunnivah ließ ihn gewähren und rührte sich nicht. Überwältigt von einer Fülle unbekannter und aufregender Gefühle, die ihre Gedanken plötzlich durcheinander wirbelten, wusste sie zunächst nicht, wie sie sich verhalten sollte. Schließlich hob sie wie unter einem inneren Zwang die Arme und erwiderte zögernd die Umarmung ihres Gefährten. »Pass auf dich auf!«, hörte sie Vhaits leise Stimme an ihrem Ohr. »Ich werde auf dich warten.« Ein letztes Mal drückte er sie sanft an sich, dann waren seine Arme fort und der Zauber des Augenblicks war erloschen.
»Ich komme zurück!« Sunnivah schluckte. In ihren Augen glänzten Tränen. Eilig wandte sie sich dem Himmelsturm zu und begann mit dem Aufstieg. Obwohl sie spürte, dass Vhaits Blicke ihr folgten, wanderte sie zielstrebig weiter ohne sich noch einmal umzusehen. Insgeheim hatte Sunnivah gehofft, dass die Wölfin sie begleiten würde. Doch das graue Tier hatte sich den ganzen Morgen über noch nicht blicken lassen. Vermutlich spürte die Wölfin, dass Sunnivah allein gehen musste. Irgendwann würde sie schon wieder auftauchen.
»Sunnivah!«
Naemys Stimme erreichte ihre Gedanken erstaunlich klar. Alle störenden Geräusche waren plötzlich verschwunden. »Naemy, der Göttin sei Dank«, antwortete Sunnivah. »Ich dachte schon, ich würde deine Stimme niemals mehr hören.«
»Sunnivah, wo bist du?« Ungeduld lag in der Stimme der Elfe. »Ich habe schon so oft versucht dich zu erreichen, aber die Verbindung war voll störender Geräusche.«
»Ich bin am Himmelsturm und habe gerade mit dem Aufstieg begonnen«, erwiderte Sunnivah, doch dann wurde ihre Stimme leise. »Als wir den Junktun überquert
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