Die Saga von Thale 01 - Elfenfeuer
vorbei. Stattdessen zügelte er sein Pferd und schaute lächelnd zu ihr hinunter.
»Wohin so spät, schönes Kind?«, fragte er und stieg vom Pferd. Er war jung und kräftig, aber die Spuren eines langen Rittes ließen ihn ungepflegt erscheinen. Seine einfache erdfarbene Tunika und die ledernen Reitstiefel waren staubig und der dicke, braune Mantel, den er sich zum Schutz gegen die Kälte um die Schultern geschlungen hatte, war an vielen Stellen zerrissen.
»Nach Daran«, antwortete sie leise.
Der Mann trat dicht an sie heran und schob seine Hand unter ihr Kinn. »Na, so ein Zufall«, sagte er lächelnd. »Dann haben wir ja den gleichen Weg.« Er hob ihren Kopf ein wenig und der Blick seiner grauen Augen hielt sie fest. »Es ist ziemlich gefährlich für ein so hübsches Mädchen, allein in der Dunkelheit zu reisen«, bemerkte er. »Möchtest du nicht bis Daran auf meinem Pferd mitreiten?«
Sunnivah zögerte. Das Angebot des Mannes war sehr verlockend, doch sie fürchtete, Naemy aus den Augen zu verlieren, wenn sie es annahm. »Nein, habt vielen Dank«, sagte sie und versuchte ihr Gesicht der Hand des Mannes zu entwinden. »Es ist ja nicht mehr weit. Ich gehe lieber zu Fuß weiter.«
»Wenn du einen warmen Platz für die Nacht suchst, kannst du gern bei mir schlafen«, sagte der junge Mann und musterte Sunnivah neugierig. Plötzlich ließ er die Zügel seines Pferdes fallen, zog Sunnivah an sich und presste seinen Mund fest auf ihre Lippen. Starr vor Schreck spürte Sunnivah, wie er versuchte seine Zunge in ihren Mund zu schieben. Sie wollte sich losreißen, aber der Mann hielt sie fest und seine Kraft nahm ihr den Atem.
»Lass sie los, Kerym!«
Tatsächlich gab der Mann sie frei. Sunnivah nutzte die Gelegenheit und trat rasch einige Schritte zurück. Nur wenige Schritte hinter ihr saß jetzt ein weiterer Mann auf seinem Pferd und seine Augen funkelten Kerym wütend an. Er war ähnlich gekleidet wie dieser Kerym und wirkte ebenso ungepflegt.
»Was soll denn das?«, fragte er ungehalten und stieg vom Pferd. »Kannst du damit nicht warten, bis wir in Daran sind?«
»Bei den drei Toren! Als Krieger ist es mein Recht, mir jede Frau zu nehmen«, verteidigte sich Kerym. »Du kannst es mir nicht verbieten, Vhait, das weißt du.«
Vhait stand nun genau zwischen Kerym und Sunnivah. »Du unterstehst noch immer meinem Befehl, Kerym. Und du weißt, dass ich ein solches Verhalten bei meinen Männern nicht dulde«, sagte er streng. »Dein Dienst endet erst in Daran und dort findest du genügend Straßendirnen, die heute Nacht bereitwillig dein Lager wärmen.« Kerym murmelte etwas Unverständliches. Wütend trat er mit seinem Stiefel einige Steine ins Gebüsch und ging zu seinem Pferd.
Jetzt wandte sich der Mann Sunnivah zu. »Mein Name ist Vhait«, stellte er sich vor und sah das Mädchen freundlich an. »Kerym und ich sind auf dem Weg nach Daran. Er hat Recht. Hier im Wald ist es wirklich sehr gefährlich für dich. Erlaube mir, dich auf meinem Pferd zu begleiten. Es wird dir kein Leid geschehen, darauf hast du mein Wort.«
»Ich hab’s doch geahnt«, rief Kerym beleidigt dazwischen. »Du willst sie nur für dich allein haben.« Aber Vhait beachtete ihn nicht. Wortlos streckte er die Hand aus, um Sunnivah beim Aufsteigen zu helfen.
»Geh mit ihm!«
Sunnivah sah sich verwirrt um. Ganz deutlich hatte sie Naemys Worte gehört, konnte die Nebelelfe aber nirgends entdecken.
»Willst du nicht aufsitzen?« Vhait lächelte und klopfte mit der flachen Hand einladend auf den Rücken seines Pferdes. »Du kannst mir vertrauen – wirklich!« Sunnivah zögerte noch immer.
»Reite mit ihm, Sunnivah«, drängte Naemys leise Stimme in ihren Gedanken. »So kommen wir schneller voran.«
Sunnivah war noch immer unsicher, doch wenn Naemy dem Fremden traute, würde sie es auch tun.
»Also gut. Ich reite mit Euch«, entschied sie und ergriff Vhaits Hand. Dann ritten sie los.
Naemy begleitete die drei im Schutze der Bäume. Mühelos hielt sie mit dem Tempo der Pferde mit, wobei sie die Reiter nicht aus den Augen ließ.
Sie hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass ihr Gedankenruf Sunnivah erreichen würde. Deshalb überraschte es sie umso mehr, als sie feststellte, dass Sunnivah sie tatsächlich hören konnte. Banya-Leah hatte nie etwas davon erwähnt und die Nebelelfe vermutete, dass die Priesterinnenmutter nichts von der seltenen Gabe ihrer Pflegetochter geahnt hatte. Naemy seufzte. Die Gabe war ein Geschenk der Göttin, und
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