Die Saga von Thale 01 - Elfenfeuer
stehen. Kerym stieg ab und suchte in der Dunkelheit nach dem Grund für die Schmerzen des Tieres.
Im Mondlicht erkannte er einen langen Schnitt an der Flanke des Pferdes. Helles Blut sickerte heraus und tropfte zu Boden. Kerym sah aber auch, dass die Wunde nicht sehr tief war. Wenn er sein Pferd bis zum Sonnenaufgang schonte, würde sie sicher heilen.
Vhait hatte ihn inzwischen eingeholt und zügelte sein Pferd. »Kannst du reiten?«, fragte er mit einem besorgten Blick auf die blutende Wunde.
»Der Schnitt ist nicht tief«, erklärte Kerym. »Wenn wir langsam reiten, wird es durchhalten.« Er hob den Blick und sah Vhait dankbar an. »Du hast mir das Leben gerettet, Vhait. Das werde ich dir niemals vergessen.« Vhait machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich reite nun mal nicht gern allein, weißt du?«, sagte er leichthin und gab dem jungen Krieger einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter.
Kerym versuchte ein Lächeln, doch die Anstrengung saß ihm noch tief in den Gliedern und es wollte ihm nicht so recht gelingen. »Wohin reiten wir?«, fragte er verlegen.
»Nach Daran«, antwortete Vhait. »Mit deinem verletzten Pferd schaffen wir es nicht nach Nimrod. In der Garnison von Daran können wir uns frische Pferde besorgen.«
3
Am nächsten Morgen standen Sunnivah und Naemy gemeinsam mit der Priesterinnenmutter auf einer einsamen Lichtung mitten im Wald. Die Luft war kühl und feucht. Nebel hatte Millionen winziger Tautröpfchen auf dem herbstlich gefärbten Laub der Bäume und Sträucher hinterlassen.
Sunnivah wirkte unausgeschlafen. Sie trug das einfache graue Gewand der Bauern, und ein erdfarbenes Tuch hielt ihr offenes Haar zurück. Schweigend beobachtete sie, wie Naemy mit einem Stock einen großen fünfzackigen Stern auf den dunklen, feuchten Waldboden zeichnete, schien aber die Worte, welche die Nebelelfe mit der Priesterinnenmutter wechselte, nicht zu hören.
Dann war alles bereit.
Banya-Leah trat auf Sunnivah zu und umarmte sie ein letztes Mal. Ihr Herz war schwer und ihre Gedanken voller Gram. »Die Göttin beschütze dich und bewahre dich vor allem Bösen.« Ganz bewusst wählte sie dieselben förmlichen Worte, mit denen sie auch alle anderen Priesterinnen verabschiedete.
»Ich werde Eure Erwartungen nicht enttäuschen, Mutter.«
Auch Sunnivah hielt ihre wahren Gefühle sorgsam verborgen und betonte das Wort »Mutter« ganz bewusst in der förmlichen Art der Novizinnen und nicht wie eine Tochter.
»Komm, Sunnivah«, sagte Naemy freundlich.
Sunnivah zuckte zusammen. Dann löste sie sich aus der Umarmung ihrer Pflegemutter, griff nach ihrem Bündel und trat erhobenen Hauptes zu der Nebelelfe in den fünfzackigen Stern.
Leise sprach Naemy die uralten Worte der Elfen, und noch während sich ihre Lippen bewegten, begann die Gestalt Banya-Leahs zu flimmern. Dann war sie verschwunden und um Sunnivah herum wurde es dunkel.
Das Nächste, das sie wieder klar erkennen konnte, ließ sie ihre Enttäuschung kaum verbergen. Außer dass die Sonne bereits aufgegangen war, unterschied sich die Lichtung, auf der sie nun stand, kaum von der vorherigen und von der Reise auf den Elfenpfaden hatte sie so gut wie gar nichts mitbekommen.
»Enttäuscht?« Naemy blickte sie fragend an.
»Ein wenig.« Sunnivahs Tonfall verriet, wie untertrieben das war.
Lachend schüttelte Naemy den Kopf. »Es ist doch jedes Mal das Gleiche, wenn ich eine Priesterin zum ersten Mal mitnehme. Alle erwarten, in der Zwischenwelt etwas Besonderes zu erleben«, sagte sie. »Dabei ist die Zwischenwelt absolut leer… jedenfalls meistens. Nun komm!«
Sunnivah ging nicht weiter darauf ein. Wortlos schulterte sie ihr Bündel und folgte der Nebelelfe, die die Lichtung zielstrebig überquerte.
»Ist es noch weit bis Daran?«, fragte sie ungeduldig.
Naemy blieb stehen und drehte sich zu Sunnivah um. »Wenn du erwartet hast, dass ich dich durch die Zwischenwelt bis vor das Haus der Heilerin bringe, dann irrst du dich«, sagte sie ernst. »Mino-Theys Haus befindet sich zwar etwas außerhalb der Stadt, aber selbst dort stehen die Häuser noch eng beieinander. Wenn wir so einfach aus dem Nichts direkt vor ihrer Tür erschienen, würde das zu viel Aufmerksamkeit erregen. Das kann ich nicht riskieren.« Sie sah Sunnivah eindringlich an. »An-Rukhbars Augen und Ohren sind überall, und gerade dort, wo du es am wenigsten vermutest, wirst du auf sie treffen. Deshalb sei stets auf der Hut, bei allem, was du sagst oder
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