Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
sich die Finsternis zu einer wirbelnden Masse verdichtet hatte.
Aus der brodelnden Schwärze formte sich langsam ein Furcht erregendes Gesicht. Leuchtend rote Augen hielten Kianys Blick gefangen, während sie spürte, wie ein fremdes Bewusstsein in ihre Gedanken vorzudringen versuchte. Die Berührung war schrecklich. Abgrundtief böse und kalt wie Eis.
Was war das ?
Angst schoss mit rasender Geschwindigkeit durch Kianys Glieder und hinderte sie an der Flucht. Obwohl alles in ihr danach verlangte, diesen Ort sofort zu verlassen, stand sie wie erstarrt auf dem Turm und blickte zum Himmel hinauf.
Aus dem Gesicht war inzwischen eine entsetzliche Fratze geworden. Wie ein von pergamentartiger Haut überzogener Totenschädel schien es Kiany hämisch anzugrinsen, während das Leuchten der lidlosen Augen ihren Blick mit hypnotischer Kraft gefangen hielt.
In ihren schlimmsten Albträumen hatte Kiany in kein so schreckliches Angesicht geblickt. Sie wollte schreien, aber die Stimme versagte ihr.
Immer tiefer drang das fremde Bewusstsein in ihre schutzlose Seele vor. Öffnete Türen, von denen sie selbst nichts gewusst hatte, und suchte mit eisigen Fingern nach einem Wissen, das Kiany nicht besaß.
» ... kommt. .. Norden ... Krieger. ..« Die Worte in ihrem Geist waren verschwommen und verzerrt und Kiany nahm sie in sich auf, ohne den Sinn zu verstehen.
»Du solltest nicht hier heraufkommen, wenn dir der Anblick des Nachthimmels Kummer bereitet, mein Kind.«
Plötzlich war sie frei. Die freundlichen Worte und eine sanfte Berührung an der Schulter rissen Kiany aus der Gewalt der albtraumhaften Vision. Der Bann war gebrochen und das Gesicht verschwand in Bruchteilen eines Augenblicks vom Himmel.
Wie eine Ertrinkende klammerte sich Kiany an das eiserne Geländer des Turms. In ihren Ohren rauschte das Blut wie ein tosender Wasserfall und der Versuch, das Gesicht der schlanken, ganz in Weiß gekleideten Frau zuzuwenden, deren Hand noch immer auf ihrer Schulter ruhte, überstieg fast ihre Kräfte. Unfähig, die verkrampften Hände von der Brüstung zu lösen, öffnete sie den Mund, doch während sie verzweifelt nach Worten suchte, versank die Welt um sie herum in einem blutroten Nebel voll tanzender Lichter, die ihren gemarterten Geist in ein friedliches, wenn auch vorübergehendes Vergessen führten.
... das flackernde Licht der magischen Fackel in dem dunklen Gewölbe spendete nur wenig Helligkeit. Sein blasser Schein spiegelte sich auf mehr als zwei Dutzend riesiger Statuen, die reglos inmitten des großen Raumes standen und deren Rüstungen wie pures Gold glänzten.
Die schwere Tür aus dicken Eichenbohlen war fest mit eisernen Ketten verschlossen, wurde aber seit vielen Sommern nicht mehr bewacht, denn die goldenen Krieger stellten keine Bedrohung dar. Man fühlte sich sicher.
Vorsichtig schob ein großer Käfer den schwach phosphoreszierenden Körper unter dem schmalen Türspalt hindurch und machte sich mit chitinknackenden Gliedern a u f den Weg zum ersten Krieger. Mit seinen langen Fühlern berührte erden F u ß des Kriegers in einem seltsam rhythmischen Takt, der einem geheimnisvollen Ritual glich. Zielsicher suchte er sich seinen Weg über den staubbedeckten Boden, wobei seine sechs dünnen Beine eine kaum sichtbare Spur im Staub hinterließen.
Ohne Hast kroch er von einem Krieger zum anderen, um das seltsame Ritual zu wiederholen. Nachdem er neun Krieger auf diese Weise berührt hatte, schwanden seine Kräfte zusehends, doch er schleppte sich weiter. Mit enormer Anstrengung gelang es ihm, auch den zwölften Krieger zu erreichen, bevor er völlig erschöpft zusammensank.
Doch der Käfer schien seine Aufgabe noch nicht erfüllt zu haben. Nach einer kurzen Rast bewegte er sich langsam weiter. Sein schwerer Hinterleib schleifte nun völlig auf dem Boden und hinterließ dort einen gut sichtbaren Streifen. Ermattet berührte er den dreizehnten Krieger und vollzog erneut das geheimnisvolle Ritual. Noch einen. Mit letzter Kraft setzte er seine sechs Beine zitternd voreinander. Der Weg zum vierzehnten Krieger war nicht weit, nur ein paar Schritte für einen Menschen, aber viel zu weit für den völlig entkräfteten Käfer. Oft musste er ausruhen und neue Kräfte sammeln, bevor er sein Ziel endlich erreichte. Nachdem er das Ritual zum vierzehnten Mal vollzogen hatte, verließen ihn die Kräfte endgültig. Die Beine knickten ein und er kippte zur Seite. Mit verrenkten Gliedern blieb er auf dem Rücken liegen und
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