Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
silbernen Ring gefasst, auf dessen Oberseite unzählige geschwungene Schriftzeichen eingraviert waren. Naemy staunte: Die dreihundert Sommer waren an dem Kleinod nahezu spurlos vorübergegangen und auch die Kämpfe hatten seiner Schönheit nichts anhaben können.
»Du siehst, das Amulett ist bestens geschützt«, sagte der Abner nicht ohne Stolz, während er vorsichtig die Hand ausstreckte, um in die Nische zu greifen. Er kam nicht weit. Als er die Stelle erreichte, an der sich zuvor die Wand befunden hatte, schössen wie aus dem Nichts grüne Blitze hervor und trafen schmerzhaft die Hand des Abners. Der oberste Druide brach den Versuch ab und rieb sich lächelnd die Hand. »Um dieses Hindernis zu überwinden, bedarf es aller fünf Ratsmitglieder«, erklärte er. »Jeder von uns kennt nur eine Zeile des Spruches, der nötig ist, um den Wächterzauber zu lösen. Nur gemeinsam ist es uns möglich, die Kristallsäule zu berühren und das Amulett aus ihrem Innern zu holen.«
Naemy nickte beeindruckt. »Ich gebe zu, das Amulett ist gut bei euch aufgehoben«, sagte sie anerkennend. »Wir Nebelelfen könnten es nicht besser schützen.«
Kurz darauf verließen die vier den Ratssaal und folgten dem Abner in die tiefsten Gewölbe der Festungsstadt.
Die Wachtposten am Eingang des dunklen Ganges, der zu dem Gewölbe der Statuen führte, nahmen augenblicklich Haltung an, als sie die kleine Gruppe hochrangiger Besucher die gewundene Treppe herabkommen sahen. Der Abner nickte ihnen kurz zu und führte seine Begleiter den Gang entlang auf eine schwere Tür aus dicken Eichenbohlen zu. Neben der Tür brannte die einzige Fackel in dem gut zwanzig Längen tiefen Gang. Ihr flackernder Schein fiel auf eine massive Kette aus nahtlos geschmiedeten Gliedern, welche die Tür verschlossen hielt. Ein sicherer Griff des Abners mitten in die scheinbar lückenlose Wand beförderte einen blitzenden langen Bartschlüssel zutage, womit er das Schloss der Kette öffnete. Rasselnd glitt diese zu Boden, während Sayen und der Abner sie Länge um Länge durch die in der Wand verankerten Ösen zogen. Dann war die Tür frei. Wie die Flügeltür des Ratssaales besaß auch sie keinen Riegel und wie zuvor musste auch hier der Abner seine Hand auf einen Kristall legen, um sie zu öffnen.
»Aber die Wachtposten ...?«, fragte Naemy verwundert.
»Nun, eigentlich müssten auch hier keine Wächter stehen «, erklärte der Abner, während er die Hand zu dem Kristall führte. »Aber der Wachdienst hier unten ist unter den Befehlshabern der Stadtwache eine beliebte Strafe für ungehorsame Krieger. Das ist... « Der Abner wollte noch etwas hinzufügen, doch in diesem Augenblick fiel sein Blick durch den Türspalt und er verstummte. Sein Lächeln gefror und er wirkte wie erstarrt. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Seine Hand rutschte von dem Kristall und verhinderte, dass sich die Tür weiter öffnete. Schwankend drehte er sich um, den Ausdruck blanken Entsetzens in den Augen. »Sie ... sie sind weg!«, hauchte er ungläubig. Dann war der Moment des Schreckens vorbei und er fand seine Haltung wieder.
»Wache!«, rief er gebieterisch. »Die Befehlshaber der Stadtwache sollen sofort herkommen!« Dann öffnete er die Tür, damit sich auch die anderen ein Bild von der Katastrophe machen konnten, die sich hier unten völlig unbemerkt ereignet hatte.
Das Gewölbe der in der Befreiungsschlacht von der Gütigen Göttin versteinerten goldenen Cha-Gurrlinen-Krieger war leer. Feiner Goldstaub bedeckte den Boden und dort, wo die Statuen gestanden hatten, hatte er sich zu kleinen Erhebungen aufgetürmt.
»Ich nehme alles zurück, was ich vorhin über die Elfenpriesterin gesagt habe!« Sayen kniete neben Naemy nieder, die eine vom feinen Goldstaub fast verdeckte Spur am Boden untersuchte.
»Deine Aufrichtigkeit ehrt dich«, erwiderte die Nebelelfe, ohne aufzublicken. »Aber sieh nur... « Stirnrunzelnd verfolgte Naemy die Spur mit den Augen und erhob sich, um ihr nachzugehen.
»Was ist damit?« Sayen begleitete sie gespannt.
»Was immer diese Fährte verursacht hat, muss hier gewesen sein, als es passierte«, erklärte Naemy dem Seher. »Da!« Sie kniete erneut nieder und deutete auf den Boden. »Die Spur verläuft sowohl unter dem Goldstaub, als auch darauf. Das bedeutet, dass sich schon etwas Staub auf dem Boden befand und der Rest später darüber fiel. Vorn an der Tür ist es nicht so gut zu sehen, aber je weiter man in das Gewölbe vordringt, desto
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