Die Sakristei Des Todes
Zusammenhang zwischen Alcuin und der
Krypta finden? Wen wollte er dort treffen? Und zweitens: Brannte
die Fackel an der Wand, als Brunos Leichnam gefunden wurde? Wenn
nicht, bedeutet das, daß er gestoßen wurde, als er gerade Feuer
schlug; der Mörder mußte sich beeilen, um nicht entdeckt zu werden.
Er hätte dann lediglich einen Schatten gesehen. Ihm einen heftigen
Stoß zu versetzen und dann zu verschwinden wäre ein Kinderspiel.«
Cranston rieb sich den verkrampften Nacken, und ihn fröstelte. So
ruhig, so friedlich, dachte er; Blackfriars war ganz anders als die
Stadt, mit seinen weißgekälkten Mauern, sauberen Wegen,
blumenreichen Gärten, plätschernden Springbrunnen und den
melodiösen Stimmen, die das Lob Gottes sangen. Und doch herrschten
hier die gleichen Gefühle wie in den Gassen der Cheapside, und sie
waren ebenso stark: Wollust, Neid, Eifersucht, Habgier. Und sogar
Mord. Sie traten beiseite, als die Kirchentür sich öffnete und die
Mönche herauskamen, die Hände in den weiten Ärmeln ihrer Kutten
verborgen, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, und schweigend in
langer Reihe zum Refektorium zurückgingen. Cranston hob den Kopf
wie ein Jagdhund und schnupperte in den Wind. Dann klopfte er sich
auf den Bauch und leckte sich die Lippen.
»Essen«, murmelte er. »Hirschbraten,
Bruder. Frisch, zart und mit Rosmarin gewürzt.«
»Später, Sir John.«
Athelstan hielt ihn am Handgelenk
fest und wartete, bis die Mönche vorbeigezogen waren, ehe er
Cranston in die Kirche schob. Noch spielte ein Rest Sonnenlicht in
den bunten Glasfenstern und erfüllte die Dunkelheit mit blassen
Lichtstreifen. Die Weihrauchwolken aus dem Chor wehten ins
Kirchenschiff herunter wie Parfüm. Athelstan empfand die heilige
Stille, als sei sogar die Luft durch den Gesang der Brüder
geweiht.
Sie gingen durch das Kirchenschiff
und unter dem prachtvoll geschnitzten Lettner hindurch in den Chor.
Athelstan schaute sich um und bestaunte die Schönheit des
vielfarbigen Marmorbodens, der Alabasterstufen, des großen, aus
kostbarstem Marmor gehauenen Hochaltars und der Säulen, deren Simse
mit dickem Blattgold überzogen waren. Kerzenhalter aus massivem
Silber standen auf dem weißseidenen Altartuch. Hoch oben in der
Wand strahlte eine zierliche Fensterrosette im Licht der sinkenden
Sonne. Athelstan betrachtete die wuchtigen geschnitzten Bänke zu
beiden Seiten des Chors, wo die Brüder sich zum Gottesdienst
versammelten. Er dachte an die Tage, da er selbst hier im
Halbschlaf gestanden und zur Morgenandacht die Psalmen gesungen
hatte. Über dem Altar hing ein schweres schwarzes Kreuz an Ketten
aus purem Gold von den Deckenbalken herunter. In der Apsis hinter
dem Altar und unter dem Rosettenfenster waren Nischen eingemeißelt,
und in einigen standen lebensgroße Apostelstatuen.
»Das ist nicht St. Erconwald«,
stellte Cranston leise fest und bestaunte die stille Schönheit des
Chores. »Ein Gedicht aus Stein und Marmor«, fügte er hinzu. »Aber
ob Alcuin hier gestorben ist?«
Athelstan blinzelte, als habe er im
stillen Frieden dieser Kirche ganz vergessen, weshalb er eigentlich
hier war. »Wie viele Eingänge gibt es?« fragte Cranston schroff.
»Nur zwei«, sagte Athelstan. »Der, durch den wir gekommen sind« -
er deutete auf das Hauptportal - »und einen im Chor.«
»Und keine Falltüren oder
Geheimgänge?«
»Nichts dergleichen. Und Pater Prior
sagt, beide Türen waren verschlossen. Alcuin wollte offenbar allein
sein.«
»Und wo könnte er hingegangen sein?«
Athelstan winkte und führte ihn um den Hochaltar herum. Dahinter
lag ein scharlachroter Teppich, und auf jeder der vier Ecken stand
ein kräftiger Holzpfeiler. »Wozu dienen die?« fragte
Cranston.
»Wenn ein Bruder stirbt, wird der
Sarg auf diesem Pfeiler auf dem roten Teppich gestellt«, erklärte
Athelstan. »Der Leichnam muß einen Tag und eine Nacht am Altar
ruhen. Dann wird die Requiemmesse gesungen.« Athelstan tappte mit
dem Fuß auf den Boden. »Dann wird der Sarg in das große Gewölbe
darunter versenkt.«
»Könnte Alcuin in dieses Gewölbe
geworfen worden sein?«
»Das bezweifle ich. Bedenkt, daß man
ja Brunos Sarg hinabgelassen hat. Unsere Laienbrüder sind
vielleicht nicht die allerhellsten Köpfe,
aber es wäre ihnen sicher aufgefallen, wenn da die Leiche eines
ihrer Brüder gelegen hätte.« Athelstan zeigte auf den Betstuhl, sah
sich um und betrachtete die lebensgroßen Statuen in ihren Nischen.
»Hier wurde Alcuin das letzte Mal lebend gesehen«,
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