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Die Sakristei Des Todes

Die Sakristei Des Todes

Titel: Die Sakristei Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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einen kurzen, scharfzüngigen Vortrag über die
Tugend des gesunden Menschenverstandes und die Vorzüge des
Mundhaltens. Cranston, der sich vor niemandem unter der Sonne
fürchtete, saß nur da, zog den Kopf ein und hatte die Augen halb
geschlossen. Endlich hörte Lady Maude auf; sie holte tief Luft,
tätschelte ihrem Mann die Schulter, beugte sich über ihn und küßte
ihn sanft auf die Wange. »So, Sir John, ich habe gesagt, was ich zu
sagen hatte.« Sie verschränkte die Hände und schaute Athelstan an.
»Willkommen, Bruder. Täglich danke ich Gott dafür, daß Sir John
Euch hat. Ich bin sicher« - Athelstan lächelte matt, als er den
stählernen Unterton der Drohung in ihrer Stimme hörte -, »ja, ich
bin zuversichtlich, daß Ihr meinem Mann in dieser Notlage helfen
werdet. Und jetzt, Sir John, einen Becher Rotwein und einen Teller
Süßigkeiten. Und Ihr, Bruder? Gut. Es gibt ja nichts Besseres als
Honig, um den Geschmack von Essig zu vertreiben. Stimmt's, Sir
John?« Cranston hatte den Kopf gesenkt; er nickte heftig, und als
Lady Maude davonschwebte, tat er einen langen Seufzer und sackte in
seinem Sessel zusammen wie eine Schweinsblase, in die man
hineingestochen hat.
    »Glaub mir, Bruder«, wisperte er
heiser, »nichts, und ich wiederhole: gar nichts auf der Welt ist
furchterregender als Lady Maude in voller Rüstung. Da lege ich mich
lieber jederzeit mit einer Meute von Rüpeln
an!«    
    Lady Maude kehrte mit einem Tablett
mit Wein und Zuckerwerk zurück und bediente Sir John so demütig und
pflichtbewußt wie ein Knappe. Der Coroner sah, woher der Wind jetzt
wehte; er richtete sich auf und faßte Zuversicht. In barschem Ton
erkundigte er sich, was in seiner Abwesenheit so alles vorgefallen
sei, und nickte ungeduldig, während Lady Maude über die Nachbarn
schwatzte, die Brotpreise und die Zahl der Geschäftsstreitigkeiten
in der Stadt. »Oh, Sir John!« Lady Maude hob plötzlich die Hand zum
Mund. »Das hatte ich ganz vergessen. Da sind Briefe für Euch
gekommen.« Sie ging zu einer Truhe und nahm zwei dünne
Pergamentrollen heraus. Sir John öffnete sie, überflog rasch den
Inhalt und schnalzte mit der Zunge. »Wir haben Glück, Bruder«,
verkündete er. »Zum ersten: Meine Schreiber haben herausgefunden,
daß deine Kirche erst hundertdreißig Jahre alt ist. Vorher stand
dort ein Wohnhaus. Zweitens — was noch wichtiger ist —, meine
Spitzel haben Master William Fitzwolfe ausfindig gemacht, den
ehemaligen Pfarrer der Kirche von St. Erconwald. Man findet ihn im
Gasthaus ›Zum samtenen Wappenrock‹ in einer Gasse bei
Whitefriars.«
    Athelstan sprang auf und griff
aufgeregt nach dem Pergament.
    »Und warum können Eure Leute ihn
nicht einfach verhaften?«
    »Im Gesetz«, verkündete Cranston
wichtigtuerisch, »gibt es für alle Vergehen
eine Verjährungsfrist. Und bedenke, aus deiner Kirche zu flüchten ist ja kein Verbrechen.«
    »Ist es doch, wenn man den größten
Teil des Kirchenbesitzes mitnimmt.«
    »Lieber Bruder, du kennst das
Gesetz. Wir können nichts beweisen.«
    »Was kann ich also tun?«
    Cranston stand auf und löste seinen
Gürtel. »Bring mir mein Schwertgehenk, Lady Maude, und einen meiner
kräftigen Knüttel für Athelstan. Wir werden Master Fitzwolfe einen
Schrecken einjagen.«
    Kurze Zeit später rauschte Cranston
großartig zur Haustür hinaus, nachdem er seine Frau zärtlich umarmt
und ihr zugeraunt hatte, daß alles gut ausgehen werde. Er küßte
auch seine beiden »Kerlchen« auf die Stirn, was die zwei mit
neuerlichen Wutanfällen erwiderten.
    »Ich wünschte, er würde einmal daran
denken, daß er einen Bart trägt«, sagte Lady Maude im Flüsterton zu
Athelstan. »Und der ist so stachelig wie eine
Ligusterhecke.«

 
    ACHT
    Cranston und Athelstan drängten sich
durch das dichte Treiben der Cheapside und in die schmutzigen
Elendsquartiere um das Karmeliterkloster Whitefriars. Bettler
heulten nach Barmherzigkeit. Fliegen schwärmten über den zahllosen
Kothaufen, die die Gossen verstopften und sich bisweilen hüfthoch
vor den verdreckten, faulig stinkenden Behausungen türmten. Zwei
Jungen hatten einen kleinen Hund gefangen und versuchten, ihm einen
Stock in den After zu spießen; Cranston versetzte ihnen einen
raschen Tritt, und sie stoben davon. Höker und Hausierer mit
Bauchläden voller Firlefanz oder kleinen Karren mit von Fliegen
umschwärmten Eßwaren standen an den Ecken, riefen ihre Waren aus
und hielten dabei wachsam Ausschau nach den Bütteln, die in dieser
Gegend

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