Die Sakristei Des Todes
armen
Alcuin gesorgt habt. Und Eure Entscheidung, die Art und Weise des
Mordes nicht bekanntzugeben, könnte den Mörder später einmal in die
Falle tappen lassen. Glaubt mir, Sir John, wir müssen ihm eine
Falle stellen.« Cranston nickte betrübt. Norbert brachte noch mehr
Bücher und auch Erfrischungen, um Cranstons wunderbaren Appetit zu
stillen. Die meiste Zeit über blieben er und Athelstan im
Gästehaus; nur hin und wieder machten sie einen kurzen Spaziergang
oder besuchten die Kirche. Der Prior kam vorbei, um sich zu
vergewissern, daß Athelstan zurückkommen würde. Dann ging er, die
geziemende Beerdigung seiner beiden Ordensbrüder in die Wege zu
leiten. Athelstan und Cranston blätterten eines der ledergebundenen
Bücher nach dem anderen durch.
»Sucht nach dem Namen Hildegarde«,
ermahnte Athelstan den Coroner. »Wenn Ihr irgend etwas findet, was
mit diesem Namen zu tun hat, sagt mir gleich Bescheid.« Sie
verbrachten fast den ganzen Samstag und den größeren Teil des
Sonntagvormittags damit, Seite für Seite gründlich zu
durchforschen. Athelstan machte es sogar Spaß. Es war, als sei er
wieder ein Student, der mit alten Freunden zusammentraf: mit dem
heiligen Thomas von Aquin, mit den Sentenzen des Peter Lombard, mit
den brillanten, wenn auch sarkastischen Analysen des Peter Abelard.
Die Bücher enthielten Abschriften ihrer Werke, sorgsam verfaßt von
Generationen von Dominikanern in Blackfriars. Manchmal hatten die
Kopisten eigene Kommentare an den Rand geschrieben, hin und wieder
auch persönliche Bemerkungen hinzugefügt - etwa: »Mich friert«,
»Die Augen tun mir weh«, »Das finde ich langweilig« und »Oh, wann
kommt endlich der Sommer?« Manche Schreiber hatten sogar die
Gesichter von Fabelwesen hineingemalt, um ihre Brüder zu veralbern.
Der Prior, der hier vor etwas über hundert Jahren regiert hatte,
mußte ein rechter Tyrann gewesen sein, denn ein Kopist hatte einen
plumpen Galgen gezeichnet, an dem sein Oberer baumelte.
*
Cranston wurde die Sache bald
langweilig; immer wieder ging er nach unten, um sich in der Küche
zu erfrischen, oder er schlief ein und störte Athelstan mit seinem
Geschnarche. Schließlich, kurz vor Sonntag mittag, verkündete er,
nun habe er genug.
»Ich gehe lieber nach Hause,
Athelstan«, verkündete er traurig. »Ich vermisse Lady Maude und die
beiden Kerlchen. Hier bin ich mehr Hindernis als Hilfe. Du gehst
morgen nach Southwark zurück?«
»Sobald es hell wird, Sir
John.«
»Dann treffen wir uns an der London
Bridge, wenn die Glocken von St. Mary Le Bow zum Tagesanbruch
läuten.« Bewaffnet mit seinem wunderbaren Weinschlauch, stapfte Sir
John davon, und Athelstan kehrte zu seinen Forschungen zurück.
Unterbrochen vom Läuten der Glocken und dem leisen Gesumm des
Klosteralltags, verging der Tag. Der Prior kam herüber und
erklärte, daß Roger und Alcuin am Morgen nach dem Hochamt bestattet
werden würden, nachdem nun der Chor gereinigt und neu eingesegnet
worden war. Er stand in der Küche, rang die Hände und trat von
einem Bein aufs andere, und seine Blicke flehten Athelstan an,
diesen gräßlichen Ereignissen ein Ende zu machen. Athelstan
beruhigte ihn, und der Prior ging. Norbert brachte etwas zu essen.
Athelstan bat um neue Kerzen und arbeitete bis lange nach
Sonnenuntergang. Gegen Mitternacht hämmerte Bruder Norbert an die
Tür und rief seinen Namen. »Athelstan! Athelstan!
Rasch!«
Der Ordensbruder öffnete die
Fensterläden und schaute hinunter. »Was gibt's?« rief
er.
Norbert hielt eine Laterne hoch.
»Eine dringende Nachricht von Sir John. Sie wurde an der Pforte
abgegeben. Bruder, Ihr müßt sofort herunterkommen!«
Athelstan griff nach seinem Mantel,
schlüpfte in die Sandalen und lief hinunter. »Wo ist der
Bote?«
»Oh, das war ein Junge. Er sagte
nur, in St. Erconwald sei etwas Furchtbares passiert, und Ihr
solltet sofort kommen!«
»Sattle mir Philomel. Ist der Junge
noch da?«
»Er sagte, er wolle vor der Schenke
›Zum blauen Mantel‹ an der Ecke der Carter Lane auf Euch warten.«
Athelstan ging zum Tor. Er war müde, und die Augen taten ihm weh.
Was mochte passiert sein? Stand die Kirche in Flammen? Oder lag
eines seiner Pfarrkinder im Sterben? Philomel wurde gebracht;
schnaubend protestierte er gegen diese unerwünschte Störung seiner
Nachtruhe. Ein schlaftrunkener Pförtner öffnete das Tor. Athelstan
führte sein Pferd hinaus, stieg auf und ritt die dunkle Straße
hinauf zur Schenke.
Neben ihm erhob sich das
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