Die Salzbaronin
war, Georgs Gepäck aus seinem Zimmer zu holen und in der Kutsche zu verstauen, versammelte sich die ganze Familie vor dem Haus. Die schwere Eichentür stand offen, ständig rannten entweder Viola oder Frederick hinein, um für Georg noch einen Talisman, eine Schachtel Pralines oder die im Trubel der letzten Tage in Vergessenheit geratene Reiselektüre zu holen. Dorothea und Elisabeth hatten sich etwas abseits aufgestellt. Beider Umarmungen waren steif, als Georg sich zuerst von seiner Schwester und dann von seiner Frau verabschiedete. Elisabeths Augen waren mit einem stillen Vorwurf erfüllt. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Bis Juli ist doch keine Ewigkeit«, flüsterte er ihr aufmunternd zu, doch ihr Gesicht verzog sich nicht.
Endlich war die Abschiedszeremonie vorüber, und die Kutsche fuhr los. Mit verkrampfter Miene winkte er seiner Familie noch einmal zu, dann wanderten seine Augen über die nackte Hecke, deren Hagebutten rote Tupfen in die sonst so farblose Landschaft zauberten. Sein Herz klopfte, als sie sich Rosas Hütte näherten. Er wollte sich jede Kleinigkeit ihrer wundervollen Erscheinung einprägen. Seine Finger gruben sich in den dunkelroten Samtvorhang seitlich des Fensters, und er lehnte sich hinaus. Rosa! Selbst den Klang ihres Namens würde er vermissen.
Doch die Hütte huschte an seinem Fenster vorüber, ohne dass er die Geliebte sah.
Sein Herz rutschte nach unten. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte losgeheult. Benommen ließ Georg sich auf das abgewetzte Samtpolster der Bank fallen. Warum war sie nicht herausgekommen und hatte ihm zugewunken? War sie krank? Oder was war sonst mit ihr los? Die kalte, muffige Luft in der Kutsche kratzte beim Einatmen.
Obwohl die Enttäuschung über Rosas Verhalten wie ein Stein in seinem Magen lag, spürte er doch, dass dieser Stein mit jeder Meile, die die Kutsche zurücklegte, ein klein wenig leichter wurde.
Georg war gespannt, welches Hotelarrangement Martin Richtvogel für ihren zweitägigen Aufenthalt in Stuttgart getroffen hatte. Hoffentlich hatte er eine Unterkunft in der Nähe der lauschigen Weinwirtschaften am Neckar gewählt! Ein wenig Feierlaune, bevor sie in Richtung Österreich aufbrachen, würde ihm sicher gut tun.
30
Dorothea und Götz schauten sich an. Ungefähr fünfzig Fuß rechts von ihnen lag der Rehbacher Solebrunnen. »Und?« Sie hielt die Luft an.
Rauber zuckte mit den Schultern. »Könnte gehen«, antwortete er knapp. Er schob seine Stiefelspitze in den Kies, der auf dem runden Platz um den Brunnen herum aufgeschüttet worden war. Der Brunnen selbst thronte in der Mitte, sein kupfernes Dach von der gleichen Rehskulptur gekrönt wie das Herrenhaus. Als Götz einen ungefähr fünf Fuß breiten Kreis freigetreten hatte, schaute er auf. »Warum nicht?« Er grinste breit.
»Warum nicht«, erwiderte Dorothea mit einem ebenso breiten Grinsen. Sie ging um den Kreis herum, so dass der Brunnen direkt vor ihren Augen war. »Ein guter Platz.« Sie grinste erneut. »Der beste.« Sie konnte die riesigen Salzlager unter der Erde durch die Sohlen ihrer geschnürten Lederstiefel regelrecht spüren! Unter dem Wahrzeichen von Rehbach würde das erste Salzbergwerk von ganz Württemberg entstehen!
Seit einer Stunde waren sie und Rauber nun unterwegs. Unter den fragenden Blicken der Salinenleute waren sie um jedes Siedehaus herumgegangen, dann zu den Holzlagern und schließlich zurück zu den auf der Gegenseite liegenden Härthäusern. Am westlichsten Ende des Salinengeländes waren sie stehengeblieben und hatten sich unterhalten. Fingerzeigend, schulterzuckend, kopfschüttelnd - niemand hatte sich einen Reim darauf machen können. »Zufällig« hatte der eine oder andere gerade dort vorbeigehen müssen. Doch Dorothea und Götz hatten jedem nur kurz zugenickt und waren schließlich weitergegangen, ohne irgendwelche Erklärungen abzugeben.
»Es wär’ nicht schlecht, wenn wir jemanden hätten, der Probebohrungen macht. Die Erde untersucht und so«, sagte Götz.
Dorothea runzelte die Stirn. »Das weiß ich auch. Aber wir können nun einmal keine Fachleute zu Rate ziehen.« Ein solches Vorgehen würde Wellen schlagen, so weit, dass sie auch Georg erreichen könnten. Geheim wäre ihr Schachtbau dann nicht mehr. Nein, sie mussten sich auf ihr bloßes Gefühl verlassen - daran ging kein Weg vorbei. Natürlich wusste sie auch, dass Götz’ Zweifel angebracht waren. Wenn sie den Schacht an der falschen Stelle gruben, dann … Doch Dorothea war
Weitere Kostenlose Bücher