Die Samenhändlerin (German Edition)
dem Nichts sind sie gekommen! Gleich fünf Kerle auf einmal! Oder waren es sogar noch mehr?« Helmut drehte sich zu Valentin um, erntete ein Schulterzucken. »Sie packten uns von hinten an den Schultern, der eine hielt Valentin ein Messer an die Kehle …« Er schluckte.
Wilhelmine, die diese Geschichte nun mindestens schon zum fünften Mal hörte, hielt sich mit vor Entsetzen geweiteten Augen die Hand an den Hals, als spüre sie die Klinge selbst.
»Mir haben sie eins drübergezogen, da, am Auge – es ist immer noch zu sehen!« Helmut tippte mit dem Zeigefinger unter sein rechtes Auge. »Gemeingefährlich waren die! Ruchlos! Zu allem bereit!«
»Wir hatten keine Chance.« Valentin starrte trübselig in sein Bier. »Das ganze Geld, die Arbeit von mehr als fünf Monaten – alles weg! Bis auf das, was wir … verstecken konnten.«
»Nun, so kannst du das auch nicht sagen, zum Glück habt ihr eure Verdienste aus dem Böhmengeschäft in Ulm an Matthias übergeben. Alles ist also nicht kaputt!«, widersprach Hannah betont fröhlich. Matthias, der Nachbar, der bisher stumm am Tisch gesessen hatte, richtete sich bei diesen Worten auf. Immerhin kam ihm bei dieser Geschichte nun eine besondere Rolle zu.
Helmut schnaubte. »Aber es reißt ein empfindliches Loch in unser Säckel.« Er kassierte von seinem Vater einen Stoß in die Rippen und verstummte.
Hannah atmete auf. Gottlieb wollte nicht, dass derart persönliche Dinge in aller Öffentlichkeit besprochen wurden – ihr sollte das heute recht sein!
Sie warf einen Blick in Richtung der Wiege, die Emma extra in die Wirtsstube hatte tragen lassen. Flora, das Geburtstagskind, schlief selig darin.
Was hätte es für ein schöner Tag werden können …
Hannah lächelte Helmut an. »Erzähl doch noch einmal, in welch wunderbare Häuser ihr in Odessa gekommen seid!«
Helmut bedachte sie mit einem schrägen Blick. Dann schien er sich jedoch einen Ruck zu geben.
»Häuser, ach was, Paläste waren das! Mit nichts zu vergleichen. Die Leute in Odessa wissen gut zu leben. Vornehme Leute sind das, ganz vornehme Leute.« Beifall heischend schaute Helmut in die Runde.
»Der eine Graf hatte einen Garten, ach, was sage ich, einen Park, in dem es neben Fischweihern, Apfelplantagen und Gemüsezuchten vier Glashäuser nur für Orchideen gab. Und er besaß weitere Glashäuser zum Überwintern von anderen Pflanzen. Ein ganz verrückter Blumenliebhaber war das!«
Hannah lächelte. Es war ihr wieder einmal gelungen, ihn vom Trübsalblasen abzubringen …
Emma hatte Wort gehalten und die Familie Kerner an Floras Geburtstag zum Mittagessen eingeladen, was zuvor zu einigen Auseinandersetzungen geführt hatte.
Wilhelmine war dagegen gewesen, die Einladung anzunehmen. »Wem ist denn ausgerechnet jetzt zum Feiern zumute?«, hatte sie mit verheulten Augen wissen wollen.
»Gerade jetzt brauchen die Männer ein bisschen Aufmunterung«, war dagegen Hannahs Argument gewesen, dem sich Wilhelmine am Ende nicht entziehen konnte.
»Ich tu dir auch mal wieder einen Gefallen«, hatte Gottlieb Kerner der Wirtin zwischen Pilzsuppe und Schweinebraten zugeraunt. Er war zu dem Schluss gekommen, dass man Emmas Großzügigkeit seiner neuen, wichtigen Tätigkeit als Gemeinderat zu verdanken hatte. Dass der Grund für die Einladung eigentlich Emmas Freundschaft zu Hannah war – auf diese Idee kam er nicht.
Inzwischen war der Nachmittag vorangeschritten, und zu der Familienrunde hatten sich immer mehr Samenhändler gesellt. Die Rückkehr der Brüder aus dem fernen Russland und der schreckliche Überfall in Wien war in den letzten Tagen Dorfgespräch gewesen. Nun wollten alle die Geschichte aus dem Mund der Heimkehrer hören.
Hannah entspannte sich allmählich. So launisch wie in den letzten Tagen hatte sie Helmut noch nicht erlebt! Stumm und in sich gekehrt, dann wieder laut und voller Vorwürfe gegen sich selbst. Anfangs hatte Hannah versucht, ihn zu trösten, indem sie sagte, dass so etwas jedem passieren könne, dass er keine Schuld an dem Missgeschick habe. Missgeschick, ha!, war er ihr grob über den Mund gefahren, so dass sie sich beleidigt abwandte. Überhaupt war er manchmal ihr gegenüber so angriffslustig, als habe sie die Räuber eigenhändig engagiert! Sogar im vertrauten Schlafzimmer war er völlig verändert. In der ersten Nacht nach seiner Heimkehr hatte er Hannah so grob genommen, dass sie vor Schmerz beinahe geschrien hätte. Aber sie biss die Zähne zusammen. Sie ahnte, was in
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