Die Samenhändlerin (German Edition)
»Was ich auf meinem Grund und Boden mache, ist meine Sache. Es ist mein gutes Recht, mich zu schützen. Wenn Eindringlinge in meine Fallen geraten – Pech!« Mit raschen Schritten begab sie sich zu dem Schuppen, der rechts vom Haupthaus lag, und rüttelte so lange an dessen Tür, bis sie mit einem Quietschen aufging.
Fallen? Hieß das, es gab mehrere? Beklommen huschte Seraphines Blick über den Boden. Wo war sie nur hingeraten?
Im nächsten Moment war die Frau wieder zurück und hielt ihr ein gebogenes Eisenteil entgegen. »Damit kannst du die Falle aufstemmen. Und dann verschwindet ihr, aber schnell!«
Entsetzt starrte Seraphine auf das Werkzeug. »Aber … was soll ich damit tun? Ich weiß doch gar nicht, wo … und wie …«
Mit einem Fluch riss die Frau Seraphine das Teil wieder aus der Hand. »Aber wo sich die Falle befindet, weißt du wenigstens noch?«
Seraphine nickte und rannte los.
35
Die Frau in der Falle war ohnmächtig geworden.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis Evelyn die Vorrichtung mit dem Stemmeisen geöffnet hatte. Der verletzte Fuß war in der Zwischenzeit dick angeschwollen, und dort, wo sich die Zähne der Falle ins Fleisch gebohrt hatten, vermischte sich Blut und Rost zu einer braunen, klebrigen Masse.
Was für eine Bescherung! Es war nicht daran zu denken, dass die beiden jungen Frauen weiterlaufen konnten. Hier liegen lassen konnte sie die Verwundete aber ebenfalls nicht, die Nächte wurden nun, Anfang Oktober, schon empfindlich kalt.
Einen Fluch ausstoßend, hob Evelyn die Verletzte unter den Achseln an. Halb schleppte, halb zog sie sie ins Haus. Die andere Frau trottete mit zwei riesigen Säcken hinterher.
Drinnen angekommen, setzte Evelyn ihre Last auf der hölzernen Bank ab.
»Hier, nimm den Lumpen und wasch das Bein gründlich! Wasser findest du dort drüben«, sagte sie zu der zweiten Frau und ging selbst noch einmal nach draußen. Als sie zurückkam, hatte sie ein Bündel Kräuter bei sich, die sie kurz darauf mit Mörser und Stößel zu einem dicken Brei zerquetschte. Dieser würde helfen, eine Blutvergiftung zu verhindern, erklärte sie der Fremden, während sie die Paste auf das verletzte Bein auftrug. Bei der Behandlung kam die Verletzte kurzzeitig zur Besinnung, doch gleich darauf schlief sie vor Schmerzen und Erschöpfung ein.
Und nun? Evelyn war nicht daran gewöhnt, Besuch zu bekommen. Was sollte sie jetzt mit der anderen anfangen? Sie hatte keine Lust, die Nacht mit zwei fremden Frauen zu verbringen, aber sie konnte sie natürlich nicht einfach vor die Tür setzen, vor allem, nachdem die eine in ihre Falle getreten war!Dumme Weibsbilder! Was mussten sie auch hier herumschleichen!
Widerwillig holte Evelyn Most und zwei Becher aus dem Schrank und knallte diese auf den Tisch. Der Blick, den die Fremde darauf warf, entging ihr nicht.
»Keine Angst, ich werde dich schon nicht vergiften«, sagte sie spöttisch und schenkte der anderen und sich selbst einen Becher ein.
Dann beobachtete sie, wie die Fremde zögerlich an dem Gebräu nippte, den nächsten Zug aber schon gieriger nahm. Silbrig glänzende Haare, die Augen weit aufgerissen wie bei einem Reh, eine Haut ohne jede Blessur. Kein Muttermal, keine Warze verunzierte die ebenmäßigen Züge. Eine ungewöhnlich schöne Frau, wie eine Prinzessin. Und daneben sie, mit dem kahl geschorenen Schädel, den tief liegenden Augen und dem Kleid, das seit Wochen dringend nach einer Wäsche schrie.
Die Prinzessin und die Hexe – Evelyn schnaubte. Kein Wunder, dass das Mädchen sie so verschreckt anschaute.
Auf beide Ellenbogen gestützt, beugte sich Evelyn über den Tisch. »So, und jetzt will ich wissen, was ihr hier auf meinem Grund und Boden zu suchen habt!«
In knappen Worten schilderte die Prinzessin, dass sie Samenhändlerinnen seien und wie sie von Gönningen hierher gekommen waren.
»Wir wollten lediglich nach dem Weg fragen – aber wenn das in Ihren Augen schon ein Verbrechen ist …« Abfällig schüttelte sie den Kopf und fuhr fort: »Wie kann man eine Fuchsfalle so nah an einem Weg auslegen? Da ist es ja beinahe unvermeidlich, dass auch einmal ein Mensch hineintritt.«
Die Fremde klang wütend, mürrisch – Angst konnte Evelyn in ihrer Stimme nicht entdecken. Bei der Prinzessin schien es sich doch um mehr zu handeln als um ein kleines, verunsichertes Mädchen. Ihr fiel wieder ein, bei welch seltsamem Tanzsie die Fremde entdeckt hatte: die Arme weit ausgebreitet, die Augen geschlossen, hatte
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