Die Samenhändlerin (German Edition)
liegen lassen können«, sagte Evelyn schließlich gedehnt. »Draußen, in der Falle.«
»Stimmt, dann wäre ich frei gewesen. Frei für meine große Liebe.« Seraphine reckte herausfordernd ihre Brust, als wolle sie sich damit selbst Kraft geben.
»Aber du hast es nicht getan.« Evelyns Augen wurden schmal, ihr Blick lag prüfend auf ihrem Gast. »Weil ich dazugekommen bin?«
Seraphine zuckte mit den Schultern. Sie brach ihre Scheibe Brot entzwei, legte ein Stück Käse darauf und biss hinein. Lediglich ein kleines Zucken unter ihrem Auge verriet, dass die Frage sie aufgewühlt hatte.
Auch eine Antwort.
»Vielleicht hätte ich es getan, vielleicht wäre ich aber auch zu feige gewesen. Doch du hast mir die Entscheidungabgenommen, als du mit deinem Messer ankamst, mit deinem giftigen Blick und deinem Werkzeug!«, stieß Seraphine plötzlich hervor. »Zum ersten Mal seit langer Zeit hätte es das Schicksal gut mit mir meinen können. Und dann kommst ausgerechnet du! Du …« Sie brach ab, als fiele ihr kein passendes Schimpfwort ein.
»Das Schicksal«, sagte Evelyn verächtlich. Am liebsten hätte sie das dumme Ding wegen seiner Arroganz an den Schultern gepackt und geschüttelt, geschüttelt …
»Was weißt denn du vom Schicksal! Ein ›schicksalhafter‹ Unfall – und schon ist die Widersacherin aus dem Spiel! Wie einfach. Und wie wäre es danach weitergegangen? Wie hättest du damit gelebt? Nicht gut, das kann ich dir sagen, denn ich – « Abrupt verstummte sie. Himmel, sie war dabei, sich um Kopf und Kragen zu reden.
»Du hast das auch schon hinter dir«, stellte Seraphine nüchtern fest.
Evelyn blinzelte. Diese Kühle. Diese erwartungsvollen Augen!
»Ja, ich habe das auch alles hinter mir«, sagte sie gedehnt.
»Und?«
Fassungslos starrte Evelyn ihr Gegenüber an. »Wie kommst du darauf, dass ich dir das erzählen werde?«
»Das sehe ich dir an.«
Zwei Augenpaare fixierten einander, und schließlich war es Evelyn, die lächelnd zuerst wegschaute.
»Ich war auch mal verheiratet«, begann sie, ohne noch länger zu zögern. Wie fasst man ein Leben in wenige Sätze? »Dies hier war einmal ein großer Hof, mit vielen Ländereien. Wir haben Hopfen angebaut und für gutes Geld an die Brauereien in der Gegend verkauft. Als ich hier einheiratete, war ich schon vierundzwanzig und mein Mann über vierzig. Nicht die große Liebe, aber auch keine Qual. Ich war nie so schön wie du, um mich haben sich die Burschen nie gerissen. Anfangs lief es gut,doch dann kam das erste schlechte Jahr – der Regen hat uns die ganze Ernte zunichte gemacht. Das Geld wurde knapp, Rücklagen hatte mein Mann nicht. Dann kam das zweite schlechte Jahr, diesmal war es irgendeine Krankheit, die unsere Hopfenpflanzen befallen hatte. Kurt mischte Jauche, düngte, schnitt die Pflanzen zurück, alles vergeblich. Keine Ernte, kein Geld zum Leben. Plötzlich war ich an allem schuld. Seit ich auf den Hof gekommen sei, habe ihn das Glück verlassen – so redete ein erwachsener Mann daher! Erst verkauften wir die Schweine, dann die Kuh. Mit dem Geld besorgte Kurt nicht etwa neues Saatgut. Er fuhr nach Herrenberg – Pferd und Wagen hatten wir da noch – und soff dort wie ein Loch. Und wenn er zurückkam, schlug er zu. Das erste Mal war ich fassungslos. Konnte nicht glauben, dass er so grob zu mir war – ich hatte doch nichts Schlechtes getan! Ein Mal ist kein Mal, das ist nur der verdammte Schnaps, der in ihm tobt, sagte ich mir. Aber es blieb nicht dabei. Beim zweiten Mal brach er mir den Arm, hier« – sie raffte ihren Ärmel hoch und entblößte einen seltsam verwachsenen Ellenbogen –, »ein anderes Mal schlug er mir so in den Rücken, dass ich eine Woche lang nur auf allen vieren kriechen konnte. Zu diesem Zeitpunkt war ich das erste Mal schwanger. Das Kind kam tot zur Welt.«
Evelyn starrte mit leeren Augen vor sich hin. Hör auf zu erzählen, es tut so weh, schrie alles in ihr.
»Und niemand hat dir geholfen? Das muss doch irgendjemand mitbekommen haben?«
»Wer denn? Und selbst wenn es so gewesen wäre – seit wann ist es verboten, seine Frau zu schlagen?«
Evelyn verzog höhnisch das Gesicht.
»Ein paar Monate später war ich wieder schwanger. Ich freute mich auf das Kind und mein Mann offenbar auch. Sobald es auf dem Hof einen Nachfolger gab, würde er wieder zur Besinnung kommen, hoffte ich. Er war schließlich einmal einfleißiger Bauer gewesen. Warum er sich so verändert hatte, weiß ich bis zum heutigen
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