Die Samenhändlerin (German Edition)
mit sich herumträgt, desto tiefer gräbt es sich in die Haut ein. Und kratzt und stört.
Was stört mich an der Geschichte eigentlich so? Ich bin doch nicht so engstirnig zu glauben, dass er nur bei uns im Dorf glücklich werden kann?
Aber Valentin ohne Sera – das konnte sie sich nicht vorstellen. Er hatte sie doch so geliebt! Wenn sie allein an die innigen Briefe dachte, die Valentin seiner Frau geschrieben hatte …
Andererseits, Seraphine waren diese Briefe keinen Pfifferling wert gewesen, so viel stand fest. Und –
Mit einem Quietschen ging die Tür auf.
»Mädle, du sitzt ja immer noch im Wasser! Pass auf, dass du keine Schwimmhäute bekommst. Unten packt gerade einerseine Ziehharmonika aus, also beeil dich, wenn du noch was mitkriegen willst.«
»Musik! Der Himmel öffnet sich für seine Kinder!«, rief Hannah theatralisch. »Erst ein Bad und dann auch noch Musik – wenn das so weitergeht, wirst du mich auch zukünftig mit auf die Reise nehmen müssen!« Lachend spritzte sie Wasser in Helmuts Richtung. »Wer hätte gedacht, dass das alles so viel Spaß macht!«
»Spaß? Also, ich bin rechtschaffen erledigt. Aber wenn dir die Strapazen der Reise nichts ausmachen, umso besser! Bist halt eine rechte Samenhändlerin geworden!« Ohne sich um die offene Zimmertür zu kümmern, drückte Helmut seiner Frau einen nassen Kuss auf den Mund.
»Weißt du, dass du mich heute zum ersten Mal so genannt hast?«, murmelte Hannah in sein Ohr.
»Na und? Das bist du doch, oder? Und jetzt beeil dich!« Ein letzter Kuss, dann polterte er mit lauten Schritten wieder nach unten ins Wirtshaus.
Versonnen lächelnd stieg Hannah aus der Wanne.
Wie selbstverständlich er das gesagt hatte! Für Helmut schien es keinen Zweifel daran zu geben, dass sie tatsächlich inzwischen eine Samenhändlerin war. Und ich? Sehe ich das auch so? , fragte sie sich, während sie sich mit einem grau-verwaschenen Tuch abtrocknete.
Früher war sie die Tochter vom Ankerwirt gewesen, ein wildes Ding, dessen Ruf im Nürnberger Viertel nicht der beste gewesen war. Heute war sie Helmuts Frau. Eine achtbare, brave Ehefrau. Sie war zudem Floras Mutter und die Schwiegertochter von Wilhelmine und Gottlieb. Für die Gönninger war sie noch immer die »Reing’schmeckte«, die Fremde, auch wenn sie sich längst richtig heimisch fühlte. Daneben aber … war sie auch eine Samenhändlerin!
Ha, wenn sie an ihren ersten Abend in Gönningenzurückdachte! Wie sie in der »Sonne« gesessen hatte, voller Bangen und mit einem unehelich gezeugten Kind unter dem Herzen. Wie sie zum Tisch der Ulmer Gärtner hinübergestarrt hatte. Auf die kleinen Schalen und Gläser, in denen sich undefinierbare Dinge befanden. Kopfschüttelnd hatte sie das Treiben beobachtet und dann Käthe gefragt: »Worum geht es da eigentlich?«
Heute wusste sie, dass man Zwiebeln in Reihen setzte, in nicht zu dichte Reihen, und dass Selleriesamen besser keimte, wenn man ihn zuvor einen Tag lang in Wasser einweichte. Kein trockener Lehrstoff mehr, sondern Wissen, das sie in sich trug, selbstverständlich, ganz natürlich. Es gab noch viel zu lernen, dessen war sie sich wohl bewusst. Aber sie saugte alles, was sie von Helmut erfuhr, wie ein Schwamm auf. Und wurde so jeden Tag ein wenig schlauer.
Ja, die Zeiten als dummes Nürnberger Stadtmädel waren in der Tat vorüber!
In der Wirtsstube war es laut und voll. Helmut musste zur Seite rutschen, um ihr überhaupt noch einen Platz auf seiner Bank zu verschaffen. Mit einem verschmitzten Grinsen quetschte sich Hannah neben ihn.
»Du hast Recht, ich bin eine Samenhändlerin!« Der Stolz in ihrer Stimme war nicht zu überhören. »Und weißt du was? Ich könnte mir nichts Schöneres auf der Welt vorstellen!«
Den verdutzten Blick ihres Mannes ignorierend, langte sie in den Brotkorb, der in der Mitte des Tisches stand, und biss herzhaft von einer Scheibe ab.
57
»Eins steht fest: Eine einfache Lungenentzündung ist das nicht«, murmelte der Arzt.
»Aber was ist es dann?« Händeringend stand Margarita vor ihm. »Lieber Gott im Himmel, was kann ich nur für ihn tun?«
Der Arzt warf einen Blick in Richtung des Zimmers, in dem der Kranke lag. Im Laufe der Woche, in der er dem Tulpenhof täglich einen Besuch abgestattet hatte, war aus dem Patienten ein Schatten seiner selbst geworden. Zuerst der Husten, dann das hohe Fieber, dazu noch die Bauchkrämpfe und der Durchfall – es sah nicht gut aus. Gar nicht gut.
Ein Blick auf Margaritas
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