Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
riesigen Gebetsraum und murmelte jene Sutren, die ich kannte, mit. Bei allen anderen schwieg ich beschämt und senkte den Kopf, damit besonders die jungen Burschen nicht sahen, dass ich Buddhas Worte nicht beherrschte.
Als wir anschließend schweigend in unsere Quartiere gingen, bemerkte ich, dass Hiroshi mich beobachtete. Gern wäre ich zu ihm hingegangen und hätte ihn gefragt, was jetzt von mir erwartet wurde und was ich lernen sollte. Doch wie die Jungen, die man hier wie Mädchen kleidete, verschwand auch ich aus seinem Blickfeld und schloss, in meiner Kammer angekommen, die Schiebetür hinter mir.
5
In der Nacht schlief ich sehr unruhig, obwohl ich hier im Kloster den Angriff von Wildtieren nicht zu fürchten brauchte und der Wind ein beruhigendes Lied pfiff und nur dann und wann sanft gegen die Reisfenster drückte, als wollte er sie streicheln.
Taketsunas drohende Worte gingen mir nicht aus dem Sinn. Ohne Zweifel war er mein Feind, etwas, das ich nicht gewollt hatte, denn meine einzigen Feinde waren die Männer, die meine Familie getötet hatten. Ich musste an die Worte meines Vaters denken: »Den Lauf des Lebens sucht sich niemand aus.« Und ich setzte hinzu: »Auch Freund und Feind kann man sich nicht immer aussuchen. Sie kommen und sie gehen, und manchmal wird eines zum anderen.«
Als ich die Gedanken an Taketsuna endlich verdrängen konnte, kamen die Träume. Sie zeigten mir die blutüberströmten Körper meiner Mutter und Schwestern, über die sich wild aussehende Dämonen hermachten. Als ich sie vertreiben wollte, hielten sie mir vor, dass ich nicht genug unternahm, um meine Ahnen zu rächen, und solange dies nicht der Fall war, würden sie weiter an ihnen nagen.
Gegen Morgen, nachdem mir die Götter einen kurzen Moment in der Dunkelheit des Schlafes gegönnt hatten, erwachte ich und stellte fest, dass es rings um mich vollkommen ruhig war.
Draußen im Wald hatte es immer irgendwelche Geräusche gegeben, Rascheln im Unterholz, Flattern im Geäst über mir. Doch hier war alles so still, dass ich zunächst glaubte, das Gehör verloren zu haben.
Als ich mich erhob und die Matte unter mir hörte, wusste ich, dass dem nicht so war, dennoch empfand ich die Stille als merkwürdig.
Gleichzeitig weckte sie meine Neugier. Wenn alle Mönche derart tief schliefen, würde es sie doch sicher nicht kümmern, wenn ich mich ein wenig umsah.
Auf Zehenspitzen schlich ich zu der papierverkleideten Schiebetür. Diese gab zum Glück kaum Geräusche von sich, wenn man sie beiseiteschob, denn das Holz war von den vielen Bewegungen so blank geschliffen wie ein Spiegel. Vorsichtig spähte ich durch den Gang, der in einem seltsamen Zwielicht lag. Die Öllampen waren längst erloschen, nur ein leichter Rauchgeruch hing noch in der Luft. Das erste schwache Tageslicht drückte gegen die Reispapierfenster, und durch die Ritzen zwischen Papier und Rahmen sah ich, wie der Morgennebel die Berghänge herunterkroch und sich wie ein Mantel auf uns legte.
Ein Geräusch gab mir die Gewissheit, dass noch jemand im Kloster wach war. Ich hätte jetzt kehrtmachen können, aber ich wollte wissen, wer da bereits auf den Beinen war. Taketsuna vielleicht? In dem Fall war die Rückkehr in meine Kammer die beste Idee, doch etwas sagte mir, dass es nicht mein Feind war.
Ein leises Zischen gefolgt von einem dumpfen »Plock« lockte mich zum Bogengang, von dem aus man auf den Übungshof blicken konnte.
Vorsichtig näherte ich mich und spähte neben einem der Pfosten, die das Dach hielten, nach unten. Der Anblick überraschte mich. Ich hatte noch nie einen Bogenschützen gesehen und wusste nicht, dass sie zum Schießen eine Schulter entblößten. Der Mann, den ich aufgrund seines ungewöhnlich gebundenen Zopfes als meinen neuen Lehrmeister erkannte, wandte mir den Rücken zu, und obwohl es erst dämmerte, sah ich unterhalb seiner freiliegenden Schulter eine sehr schlecht verheilte blaurote Narbe, die wirkte, als wollte sie verfaulen.
Trotz der Verletzung legte Hiroshi den Pfeil elegant auf die Sehne und schoss ihn nach kurzem Anvisieren auf die aus Reisstroh geflochtene Zielscheibe ab. Dass er die Mitte traf, hätte ihn freuen können, dennoch wirkte er unzufrieden, als er einen weiteren Pfeil aus dem Köcher zog. Bevor er diesen jedoch anlegte, hielt er inne.
»Wenn du mich schon beobachtest, kannst du auch herunterkommen und ebenfalls ein bisschen üben.«
Seine Worte ließen mich erstarren. War ich denn so geräuschvoll gegangen? Hatte
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