Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
quittierte.
»Hast du etwa vor, mir ein Stück Fleisch rauszureißen? Du brauchst keine Angst zu haben, wenn du still sitzt, wirst du nicht in die Schlucht hinabfallen.«
»Verzeiht«, entgegnete ich kleinlaut und lockerte meinen Griff.
»Schau einfach zur anderen Seite«, riet Hiroshi mir daraufhin. »Dann siehst du das, wovor du Angst hast, nicht mehr.«
Diesen Ratschlag hätte er mir früher geben sollen, denn nun wusste ich um die Schlucht und fürchtete mich davor, auch wenn ich auf die Felswand linkerhand blickte. Jeder rollende Kiesel ließ mich zusammenzucken, jede unvorhergesehene Bewegung des Pferdes ebenfalls. Ich fühlte mich vollkommen erschöpft, als wir oben beim Kloster ankamen, und beinahe wäre mir der herrliche Eindruck entgangen, den es auf Neuankömmlinge machte.
Glücklicherweise wies Hiroshi mich darauf hin. »Schau, die Wolken, wie sie den Berg umhüllen, als wären sie die Schleier einer Göttin!«
Die Bergspitzen wirkten tatsächlich, als wären sie von Schleiern bedeckt. Einige wallten sogar in Richtung Tal hinab, schafften es allerdings nicht einmal, die Dächer des oberen Klostergebäudes zu erreichen.
Doch noch imposanter als die Berge waren die roten Pagodendächer des Klosters selbst, die im vergehenden Tageslicht schimmerten, als seien sie von einem zarten Wasserfilm überzogen. Ich erkannte ein paar Kirschbäume, die ganz zaghaft ihre Knospen reckten – hier oben würden sie zweifelsohne später blühen als ihre Schwestern im Tal – , und noch anderes Gehölz, dessen Art ich von Weitem nicht erkannte. Eine mächtige rote Mauer umgab das Anwesen, das auf verschiedene Terrassen verteilt war wie ein Palast. Jedenfalls glaubte ich, dass so ein Palast aussehen würde, denn unten im Dorf hatte ich einmal einen Blick auf eine Bildrolle werfen können, auf der ein ähnliches Gebäude abgebildet war.
Weithin sichtbar waren auch das Dach des Tempelschreins und die große Tempelglocke, die von einem wuchtigen hölzernen Unterstand geschützt wurde.
Wie von Geisterhand öffnete sich vor uns das große, rot lackierte Tor. Auf den Wachtürmen erkannte ich zwei weiß gekleidete Männer, die uns wahrscheinlich bereits bemerkt hatten. Die Spitzen ihrer Bögen ragten neben ihnen auf. Wären wir Reiter in feindlicher Absicht gewesen, hätten sie uns wahrscheinlich mit einem Pfeilhagel begrüßt.
Soweit ich es hinter Hiroshis Rücken überblicken konnte, bestand die Anlage aus verschiedenen, terrassenartig angeordneten Höfen, die alle ihren eigenen Zweck zu haben schienen.
Auf dem vorderen Hof angekommen, an den die Ställe grenzten, hob mich Hiroshi am Kragen meines Gewandes aus dem Sattel. Am liebsten hätte ich ihn an die Worte seines Meistes erinnert, dass ich kein Sack voller Bohnen war. Doch diesmal warf er mich nicht, er stellte mich akkurat auf meine Füße.
»Sieh einmal dort hinüber«, sagte er und deutete auf etwas, das ich bisher nicht bemerkt hatte. Es war ein Brunnen, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte. »Unser Schmied hat ihn angefertigt«, erklärte Hiroshi und bedeutete mir dann, dass ich mir den Brunnen von Nahem ansehen solle. Wahrscheinlich wollte er mich aus dem Weg haben, damit er sich um sein Pferd kümmern konnte. Doch das seltsame Gebilde interessierte mich dermaßen, dass ich es ihm nicht übel nahm.
Der Brunnen, dessen Quelle sich irgendwo auf den höher gelegenen Terrassen der Klosteranlage befinden musste, wurde über eine Wasserleitung aus Bambus gespeist. An einem Holzgerüst waren mehrere ausgehöhlte und halbierte Bambusrohre angebracht, die, wenn sie einen entsprechenden Füllstand erreicht hatten, umkippten und das Wasser in das darunterliegende Rohr ergossen. Alles war dermaßen perfekt abgestimmt, dass die nacheinander kippenden Rohre eine Klangfolge erzeugten, die auf den Betrachter beinahe hypnotisierend wirkte. Ich vergaß angesichts der Melodie sogar, dass hinter mir die Pferde trampelten und schnauften und sich die Mönche unterhielten, während sie die Tiere in die Stallungen führten.
»Denk ja nicht, dass du mich beim nächsten Mal erneut besiegen wirst, Dienstmädchen!«, zischte plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich war so fasziniert von dem Brunnen gewesen, dass ich nicht gehört hatte, wie sich Taketsuna an mich herangeschlichen hatte. Als ich mich erschrocken umdrehte, lächelte er mich böse an.
»Du hast richtig gehört, du bist nichts weiter als ein Mädchen und eine Dienerin dazu. Du hattest einfach nur Glück, nichts
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