Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
stockte, als ich zu bemerken glaubte, dass Langeweile auf Kanehiras Gesicht trat. Es war für ihn nicht die gewohnte Art, Geschichten erzählt zu bekommen. Hiroshi hatte mehrfach angedeutet, dass Geschichten bei Hofe anders vorgetragen wurden: wortreicher, ausgeschmückter, eleganter. Meine Art zu erzählen war die eines Bauernmädchens. Aber was konnte Kanehira anderes von einem Bauernmädchen erwarten?
»Rede weiter«, sagte der Krieger mit einer ungeduldigen Handbewegung.
»Kurz zuvor waren meine Eltern und meine Geschwister von Unbekannten getötet worden. Nur ich habe überlebt.«
Kanehira beugte sich etwas vor. Langweilte ich ihn vielleicht doch nicht?
»Wie hast du das angestellt?«, fragte er. »Wie konntest du den Mördern entkommen?«
»Ich war einfach nicht da. Meine Mutter hatte mich kurz zuvor in den Wald geschickt, um Holz zu holen.«
»Dich allein?«
»Ja, ich war die Älteste von allen. Ich weiß auch nicht, warum sie das getan hat, aber ich gehorchte ihr und ging in den Wald, und als ich mit dem Holz zurückkehrte, waren die Mörder verschwunden.«
Dass ich unterwegs von Enmas Diener aufgesucht wurde und wahrscheinlich er der Grund war, warum ich nicht auch getötet wurde, verschwieg ich. Er hätte es nicht verstanden und dies ebenso wie den Rest der Geschichte als Unfug abgetan.
»Hast du eine Ahnung, wer das getan haben könnte?«
»Meine Mutter, die noch für ein paar Augenblicke am Leben war, behauptete, dass es Steuereintreiber waren. Ich hingegen glaube, dass es Räuber waren, die die Wälder unsicher machen.«
Kanehira stieß einen Misslaut aus und spuckte auf den Boden. »Taira«, murmelte er, dann sagte er laut: »Es waren gewiss keine Räuber, du solltest den Worten deiner Mutter glauben. Die kaiserlichen Steuereintreiber gehen mit unglaublicher Brutalität gegen all jene vor, die die Steuern nicht entrichten können. Du kannst deiner Mutter danken, dass sie dich losgeschickt hat. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was sie mit dir getan hätten, wenn sie dich in die Finger bekommen hätten.«
Während er sprach, war sein Gesicht vor Zorn verzerrt, doch in seinen Augen schimmerte Mitleid.
»Ich bin meiner Mutter auch sehr dankbar«, gab ich leise zurück. »Nur weil sie mich fortgeschickt hat, werde ich eines Tages die Gelegenheit bekommen, sie und den Rest meiner Familie zu rächen.«
Der Krieger sah mich eine Weile an, dann nickte er. »So wie du gekämpft hast, wirst du dein Ziel vielleicht auch erreichen. Aber du musst klug vorgehen, selbst der beste Kämpfer kann nicht allein gegen eine Horde gewissen- und ehrloser Männer angehen. Er braucht Verbündete.«
»Ich glaube, diese Verbündeten habe ich gefunden. Oder besser gesagt, sie haben mich gefunden. Nachdem ich mich eine Weile in der Wildnis durchgeschlagen hatte, traf ich auf einen Trupp von Mönchen. Deren Anführer, Takeshi, beschloss, mich mitzunehmen und wie einen Schüler des Klosters auszubilden, damit ich mein Vorhaben, die Mörder meiner Familie zur Rechenschaft zu ziehen, auch verwirklichen kann.«
»Der Abt hat wirklich ein großzügiges Herz. Nicht jeder Anführer eines Klosters hätte ohne Weiteres ein Mädchen aufgenommen. Du weißt sicher, dass die Klöster vorwiegend Jungen aus einflussreichen Familien aufnehmen. Du hingegen kannst ihnen weder einen einflussreichen Fürsprecher noch gute Bezahlung bieten.«
»Ich arbeite im Kloster«, entgegnete ich, denn er sollte nicht denken, dass ich einfach nur die Gunst der Mönche erhielt. »Ich helfe in der Küche, schrubbe Böden und gehe ihnen zur Hand, soweit es mir möglich ist.« Ich senkte den Kopf, als ich merkte, dass meine Stimme hochmütig klang. »Es ist eine sehr geringe Bezahlung für all diese Gunst, doch auch wenn ich unwürdig bin, ist Takeshi großherzig genug, darüber hinwegzusehen.«
»Dass du unwürdig bist, würde ich nicht sagen«, brummte der Krieger daraufhin so leise, dass ich nicht sicher war, ob seine Worte wirklich für mich gedacht waren.
Während des restlichen Tages kümmerten wir uns ständig um den Fürsten. Ich prüfte den Verband mehrfach, Kanehira beobachtete jede seiner Regungen. Seine seltsame Schweigsamkeit wurde nur davon unterbrochen, dass er am Nachmittag die Hütte samt seines Schwertes verließ.
Eingeschüchtert von dem finsteren Grübeln, dem er sich hingegeben hatte, fragte ich nicht, wohin er gehen wollte. Ich blieb auf meinem Platz neben dem Fenster sitzen und ging im Kopf die Sutren durch, die Hiroshi mir
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