Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
glaubten, dass es gestorben sei, andere vermuteten, dass es von einem großen Kriegsherrn als Geisel genommen wurde, und die alte Natsuo behauptete sogar, ein Diener von König Enma hätte es geholt, als Pfand dafür, dass meinem Vater auch in den kommenden Jahren Kriegsglück beschert blieb.«
Die Erwähnung von Enmas Diener ließ mich frösteln. Dass diese Wesen kein Hirngespinst alter Dienerinnen war, wusste ich mittlerweile nur zu gut. Vielleicht konnte ich aus Hiroshi herausbekommen, was mit dem Kind passiert war. Dann vielleicht, wenn ich die erste Aufgabe zu seiner Zufriedenheit gelöst hatte.
»In den folgenden Jahren gebar meine Mutter noch einen kleinen Sohn, der jedoch nicht lange genug lebte, um einen Namen zu erhalten. Dieses Kind wurde begraben, wie es sich gehörte, und umso deutlicher wurde mir nun, dass bei meinem anderen Geschwister etwas nicht in Ordnung war. Und es gab einen weiteren Beweis dafür. Meine Mutter errichtete einen kleinen Schrein und saß fortan lange davor. Ich weiß bis heute nicht, ob sie für die Seele ihres verlorenen Kindes betete, das Gerüchten zufolge ein Mädchen gewesen war, oder ob sie die Götter darum bat, es wieder zu ihr zurückzubringen.«
Langes Schweigen folgte seinen Worten. Die Geschichte hatte mich derart eingenommen, dass ich nicht wagte, sie auch nur durch ein Räuspern zu vertreiben.
»Wir sollten uns schlafen legen«, sagte Kanehira schließlich, als er den Schatten der Vergangenheit abgeschüttelt hatte. »Wer weiß, wie es dem Fürsten morgen geht.« Er blickte sorgenvoll zu seinem Ziehbruder, dann legte er das Schwert neben seine Matte und streckte sich darauf aus.
Während ich still auf meiner Matte lag, lauschte ich nach Geräuschen, die die Rückkehr der Kitsune verraten würden. Sollte sie noch einmal auftauchen, wollte ich sie nach Kanehiras Schwester oder Bruder fragen. Da sie ebenfalls mit den Göttern in Verbindung stand, würde sie mir vielleicht Auskunft geben können …
24
Im Morgengrauen des dritten Tages wurde ich erneut von Kanehira geweckt, nicht weniger grob als am Vortag. Ich schnellte in die Höhe, verfehlte dabei den Krieger um Haaresbreite und starrte ihm erschrocken ins Gesicht.
»Was ist geschehen?«, fragte ich, ehe der Schlaf mich richtig verlassen hatte.
Da ging ein Lächeln über sein Gesicht.
»Das Fieber ist gesunken«, erlöste mich der Krieger von meinem Bangen. »Der Fürst ist aufgewacht und hat ein paar Worte mit mir gesprochen. Du hast wirklich gute Arbeit geleistet, Tomoe.«
»Ich habe nur getan, was mein Lehrmeister mir beigebracht hat«, entgegnete ich bescheiden.
Als ich mich von meiner Reismatte erhob und an das Lager des Fürsten trat, hatte dieser die Augen offen. Er war noch sehr schwach, denn auch wenn das Fieber nur kurz gewährt hatte, hatte es an seinen Kräften gezehrt. Doch sein Anblick erleichterte mein Herz so sehr, dass ich über die blasse Haut und die ausgetrockneten Lippen hinwegsah.
Sein Blick richtete sich schließlich auf mich, und sein Mund begann, lautlose Worte zu formen.
»Mein Bruder, strengt Euch nicht zu sehr an«, riet Kanehira, der hinter mich getreten war. »Ihr braucht Ruhe.«
Doch Ruhe wollte sich Yoshinaka nicht gönnen. Während er mir unverwandt in die Augen sah, nahm er alle Kraft zusammen und fragte: »Wie ist dein Name?«
Diese Frage erschreckte mich ein wenig. Warum sollte er gerade mir Aufmerksamkeit entgegenbringen? Gleichzeitig lösten seine Worte genau dieselbe Verwirrung in mir aus wie schon am Tag des Kampfes.
»Nun antworte doch!«, brummte Kanehira hinter mir und versetzte mir einen leichten Stoß. »Wer weiß, wie lange der Fürst noch wach ist!«
»Tomoe«, sagte ich also rasch.
Yoshinaka lächelte. »Wie der Wasserwirbel.«
Ich nickte und senkte gleichzeitig den Blick. Einerseits genoss ich die Aufmerksamkeit des Fürsten, andererseits fürchtete ich sie auch.
»Mein Bruder sagte mir, dass du dafür zuständig bist, dass ich die Luft dieses Morgens atme.«
Selbst verletzt und gerade dem Fieber entronnen drückte er sich doch vornehmer aus als ich, was mich ziemlich verlegen machte.
»Ich habe nur das wenige Wissen angewendet, das ich mir bei den Mönchen angeeignet habe.«
»Aber dennoch hat es ausgereicht, um mein Leben zu retten.«
Seine Hand bewegte sich und ergriff die meine. Als er sah, dass damit meine Verlegenheit nur noch wuchs, ließ er sie wieder los. Seine Berührung brannte auf meiner Haut, und ich wusste nicht, was ich tun
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