Die San-Diego-Mission
egal, woher die Eltern oder Großeltern irgendwann gekommen sind, unauslöschlich gebrandmarkt sind – eben durch den unglaublichen Strom an Lebenskraft, der durch das seltsame Land im Norden fließt, und ihren unbegründeten Glauben an ihre unbegrenzten Möglichkeiten. Echte Mexikaner spüren instinktiv, daß Amerikaner mexikanischer Abstammung weniger mit ihnen gemein haben, als die Dipshits sich je träumen ließen.
Schon wenige Tage nach dem Wiedererscheinen der neu aufgestellten BARF-Truppe in den Canyons war ihnen allen klar, daß nie mehr einer von ihnen diese Grenze überqueren würde, um da drüben abends mal auf die Pauke zu hauen. Die Barfer kapierten mehr und mehr, daß Mexiko den Mexikanern gehört, den echten Mexikanern. Wenngleich zwar eine Reihe von Barfern Mexiko immer nach amerikanischen Maßstäben beurteilen würden, waren andere aus der Truppe ganz anderer Ansicht und überdies von dem, was da passieren konnte, verwirrt und betroffen. Eines, wie gesagt, war jedenfalls sicher, keiner von ihnen würde ein weiteres Mal über die Grenze gehen, um billigen Tequila und Bier zu trinken und nächtelang »La Paloma« zu schmettern. Dazu, verdammt und zugenäht, hatten sie viel zuviel Angst, drüben zu Tode zu kommen.
Ein Punkt, in dem sich die Mexikaner besonders wesentlich von den Amerikanern unterscheiden, ist ihre Einstellung zu Gesetz und Recht. Man kann nicht sagen, daß ihr Rechtssystem nichts taugt. Bewaffneter Raubüberfall, zum Beispiel, wird in Mexiko als sehr schweres Verbrechen angesehen, obgleich die Regierung mit dem Problem, daß die meisten Leute Schußwaffen besitzen, kaum fertig wird. Im Dezember, dem traditionell schlimmsten Verbrechensmonat in amerikanischen Städten, wurde in Tijuana in einem bestimmten Jahr lediglich ein einziger bewaffneter Raubüberfall registriert. In San Diego oder Los Angeles oder San Francisco sind Raubüberfälle so häufig wie außerehelicher Geschlechtsverkehr, und ein Tourist, der sich besaufen und mit Geld protzen und die Puppen tanzen lassen will, würde sicher sehr gut beraten sein, wenn er das in den Straßen von Tijuana täte statt in manchen Straßen von San Diego oder Los Angeles oder San Francisco, wo er kaum mehr Überlebenschancen hätte als die Frauenrechtlerin Gloria Steinern in Teheran.
Die mexikanische Polizei hat mit ihren amerikanischen Kollegen eine Menge Eigenschaften gemeinsam. Schwarzen Humor zum Beispiel. Es gibt in Tijuana das Denkmal eines patriotischen Priesters, und es war ein Cop, der als allererster den Gedanken hatte, die Hand des Denkmals scheine für Mexiko nicht gerade bessere Zeiten zu verkünden. Der Padre, meinte er, sage offensichtlich: »Paßt auf, ihr Pollos! Da hinten kommt die migra!«
Ähnliches wird der Skulptur des tapferen Aztekenhäuptlings Cuauhtemoc in den Mund gelegt, der seine Streitkeule hoch in den Himmel reckt. Cuauhtemoc, behaupten die Cops, schreit anscheinend gerade: »Raus aus diesem Land mit deinem ausgefransten Arsch! Da geht's zur Grenze!«
Weiterhin gibt's da noch die Polizistengeschichte über den Drogenhund. Wenngleich es sich dabei vielleicht um eine nicht ganz gesicherte Geschichte handelt, so illustriert sie manche Dinge eben doch auf das trefflichste, so vor allem die unterschwellige Verbitterung darüber, nicht allein neben einer reichen Nation, sondern dem reichsten Gebiet des reichsten Staates der reichsten Nation überhaupt leben zu müssen …
Offenbar war dem Bürgermeister von Rosarito jedesmal, wenn er über die Grenze mußte, um ein paar Sachen in San Diego zu erledigen, ein schlimmer Tort angetan worden. Er pflegte den US-Zollbeamten an der Kontrollstelle ordnungsgemäß seinen Paß vorzuzeigen und sehr höflich und mit sehr guten Manieren und ebensoviel Geduld darauf hinzuweisen, daß er der Bürgermeister von Rosarito sei und recht häufig über die Grenze fahre. Trotzdem mußten Seine Ehren seinen Arsch dann mit schöner Regelmäßigkeit zur zweiten Inspektionsstelle verfügen, wo ein deutscher Schäferhund überall in seinem Wagen gründlich nach Schmuggelware schnüffelte.
Natürlich sind Amerikaner mexikanischer Herkunft den übrigen Amerikanern in vielem ähnlich – reichlich unhöflich und weder sehr wohlerzogen noch sehr geduldig. Der Bürgermeister von Rosarito hingegen war ein echter Mexikaner, und jedesmal, wenn er wieder rüberfuhr, ließ er die Demütigungen schweigend über sich ergehen. Eines Tages jedoch, als er wieder in Rosarito war und seinen
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