Die Sanddornkönigin
Moment stehen. »Die Suche nach Ihrer Frau habe ich soeben wieder in Gang gesetzt, es ist also nur noch eine Frage der Zeit, wann Sie sich keine Sorgen mehr zu machen brauchen.« Seine Kollegin stob davon, an ihrem heftigen Schritt konnte er erkennen, wie sehr es sie in Rage versetzte, dass er nun das Kommando übernommen hatte.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Sanders, wollen wir nicht in mein Büro gehen? Mareike, bringen Sie uns doch bitte zwei Kaffee, ja?«
Wencke rannte die Treppe hinunter, immer dem Geruch nach, dann fand sie die Küche. Obwohl es noch lange nicht Mittag war, standen mehrere riesige Töpfe auf dem Feuer, das Brodeln darin war trotz des Abzugsgebläses zu hören. Ein Radio spielte zudem noch unüberhörbar eine merkwürdige Musik, die irgendwie russisch klang.
»Mach den Scheiß aus«, schrie eine Männerstimme aus der Ecke, »ich kriege das Kotzen bei diesem Gejaule.«
»Leck mich, Gunnar.« Eine zierliche dunkelhaarige Frau zerhackte Kräuter mit einem abgerundeten Messer, dessen Schneidefläche dreimal so groß war wie ihre Hand. Das rasende Tempo, mit dem sie die Klinge hin und herschwang, war beängstigend.
»Du lahme Schnecke, bei deinem polnischen Heimatgedudel wirst du noch gemütlicher. Wenn du so weitermachst, können wir das Parfait erst nächstes Jahr zu Ostern servieren.«
Die Frau wischte sich ihre Finger an der weißen Schürze ab und ging zum Radio. Sie drehte es lauter und lachte. Der Mann stürzte aus der Ecke hervor und riss den Stecker aus der Dose. Wencke erkannte den Restaurantleiter. Er hatte sie noch nicht bemerkt und schnippte mit den Fingern die Kochmütze der Frau tiefer, sie rutschte ihr vor die Augen, und im selben Moment schnitt sich die Küchenhilfe in den Finger.
»Arschloch«, sagte sie, schob sich die Kappe zurück und lutschte an ihrem Daumen. Dabei lächelte sie immer noch.
»Hallo«, machte sich Wencke bemerkbar. Die beiden schauten sie an. »Ich muss sehr dringend zu Fokke Cromminga.«
»Er ist im Kühlhaus«, sagte der schlacksige Kellner knapp und wies mit dem Kopf in eine Richtung. Sie konnte nicht glauben, dass dies derselbe Kerl sein sollte, der ihr gestern noch am liebsten die Füße geküsst hätte.
Sie ging an den langen Edelstahlplatten vorbei, unter den von der Decke hängenden Regalflächen baumelten Unmengen von Schöpflöffeln, Schneebesen und langen Gabelspießen, die sich sicher auch hervorragend als Mordwerkzeug eigneten. Töpfe, Pfannen, skurrile Formen und schwere Deckel von der Sorte, die man nicht im Supermarkt kaufen konnte; es musste ein System in diesem Chaos stecken, ansonsten würde sich nie ein Mensch in dieser Küche zurechtfinden.
Im hinteren Teil der Küche schälten zwei milchgesichtige Jungen Kartoffeln und erzählten sich schmutzige Witze. Als sie Wencke kommen sahen, wurden sie rot.
»Kühlhaus?«, fragte sie knapp.
»Da lang, hinter der Salatküche rechts.« Sie ging weiter, und die beiden kicherten hinter ihr her.
Sie hatte Schwierigkeiten, die dickwandige Tür zu öffnen, dahinter war es hell und kühl. Bis zur Decke stapelten sich Kisten mit Obst und Gemüse. Eine Art Salat, der aussah wie eine missratene Dauerwelle, stand vor ihren Füßen, sie musste darüber steigen. In einer Holzbox lagen dicke Bambusrohre, Wencke nahm sie in die Hand und fuchtelte ein wenig damit herum, da legte sich eine kalte Hand um die ihre. Fokke war von hinten an sie herangetreten.
»Vorsicht.«
»Warum bewahrt ihr eure Deko im Kühlschrank auf?«
Er lachte, brach ein Stück davon ab und klopfte damit gegen das Metallregal. Der gelbliche Stängel zerbarst, Fokke riss eine Faser des saftigen Marks ab und steckte es ihr in den Mund.
»Es ist Kaugummi«, sagte Wencke, als sich der süße Geschmack auf ihrer Zunge ausbreitete.
»Es ist Zuckerrohr. Aus Südamerika. Wir werden es morgen mit der hiesigen Sanddornbeere vereinen, dann wird die Vorspeise ein multinationales Ereignis.
Soll ich dich noch mehr kosten lassen? Wir haben hier einige saftige Babacos, sie sehen aus wie Zucchini und schmecken wie Erdbeeren, Papaya und…«
»Fokke, ich wünschte, ich wäre deswegen gekommen. Es ist wegen deiner Mutter. Sie sind wieder auf der Suche nach ihr, ich konnte es nicht verhindern. Du musst dich beeilen.«
»Ich kann hier nicht weg. Jeder würde es merken, und außerdem muss ich das Durcheinander deiner lieben Kollegen wieder ordnen, die, aus welchem Grund auch immer, ausgerechnet unsere Kühlräume durchsuchen
Weitere Kostenlose Bücher