Die Sanddornkönigin
hervor, sie wusste, die Zimmerschlüssel waren irgendwo in der Seitentasche, ein schwerer Anker war der Anhänger.
»Sie soll sich bei mir verstecken. Dort wird sie mit Sicherheit niemand suchen.«
Fokke nahm mit großen Augen die Schlüssel entgegen.
»Bist du dir sicher?«
»Es ist Zimmer sieben. Dass sie sich nicht sehen lassen soll und das Licht ausbleibt, versteht sich von selbst. Zum Abendbrot und Frühstück werde ich in der Pension auftauchen, dann wird niemand etwas bemerken. Nur schlafen muss ich woanders, ich bin mir sicher, unsere eifrige Vermieterin würde sonst dahinter kommen, dass ich nicht allein gewesen bin, und das würde mich um Kopf und Kragen bringen.«
Er kam auf sie zu und umarmte sie für einen kurzen Augenblick mit festem Druck.
»Ich will dich nicht zu irgendetwas drängen, Wencke, und ich bin mir sicher, du würdest dies auch niemals zulassen, aber es wäre am einfachsten, wenn du heute Nacht bei mir schläfst. Ich meine, in meinem Bett, für mich ist es kein Problem, eine Nacht in der Küche zu verbringen. Besonders in Hinblick auf morgen würde es niemanden verwundern. Bist du einverstanden?«
»Mal sehen«, sagte sie zögerlich, doch sie war froh, dass er ihr entgegenkam.
Fokke nahm kurz ihre Hand, dann ging er zum Telefon. Er schien auf eine Verbindung zu warten, doch Wencke hörte kaum hin, sie versuchte sich ganz auf ihr Vorgehen zu konzentrieren. Es würde nicht einfach sein, Sanders zu täuschen, er war ein ziemlich gerissener Kerl, und sie konnte nicht gut lügen. Wenn sie nicht wollte, dass jemand die Wahrheit erfuhr, dann hielt sie lieber ihren Mund, statt Dinge zu sagen, die so nicht stimmten. Dieses Mal würde es sich nicht vermeiden lassen, das war ihr klar. Wenn sie am Ende dem richtigen Täter die Handschellen umlegte, dann würde man ihre Unwahrheiten als clevere Taktik verzeihen. Wenn Sanders triumphierte, so konnte sie wegen Behinderung der Ermittlungsarbeit mit einer saftigen Disziplinarstrafe rechnen, wenn sie nicht sowieso gleich den Dienstausweis in den Reißwolf stecken konnte. Wencke war kein Typ für Stoßgebete, doch in diesem Moment ertappte sie sich dabei, wie sie kurz und inbrünstig ihr Schicksal um Gnade anflehte.
Als das Telefon zum ersten Mal klingelte, war Hilke hellwach. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie bereits geschlafen hatte. Die Müdigkeit musste sie hinterrücks überfallen haben, sie saß noch immer auf der Truhe am Fenster, den Oberkörper an die Wand gelehnt. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass sie in der Lage war, in einer solchen Position zu schlafen, ihre Knochen schienen zu jammern, und der Nacken war steif. Sie fühlte sich hundsmiserabel, schlechter als vor ihrem unfreiwilligen Nickerchen, doch als das Handy nach dem zweiten Klingeln verstummte, vergaß sie ihre Schmerzen. Sie waren wieder hinter ihr her.
Ohne überlegen zu müssen, hatte sie ihre wenigen Dinge beisammen, sie steckte die Kleinigkeiten in den Schlafsack und warf ihn sich über die Schulter wie ein Dieb auf Beutezug.
Es war nicht möglich, den kleinen Trampelpfad zu nehmen, obwohl es bequemer gewesen wäre, denn als sie hastig die Jagdhütte verließ, hörte sie bereits Stimmen aus dieser Richtung kommen. Es blieb nur Zeit für einen kurzen Rundumblick, dann entschied sie sich, weiter Richtung Osten zu fliehen. Sie musste so schnell wie möglich außer Hörweite kommen, falls das Telefon erneut ging. Hinter der Hütte erhob sich eine Düne, dichtes Brombeergestrüpp erschwerte ihr den Aufstieg, doch als sie in geduckter Haltung die höchste Stelle überquert hatte, kam sie schneller voran.
»Jibbo, schau in der Jagdhütte nach«, hörte sie ein lautes Männerrufen hinter sich. Ihre hastigen Schritte wurden von dem losen Dünensand gebremst, es kam ihr vor, als bewegte sie sich kaum von der Stelle, so zäh war das Vorankommen. Der Schlafsack machte es nicht leichter für sie, zwischen dem engen Buschwerk am Ende der kleinen Kuhle hindurchzukriechen. Er blieb an einem spitzen Ast hängen, und sie überlegte kurz, ihn zurückzulassen, riss ihn dann aber mit einem kräftigen Ruck los. Sie durfte keine Spuren hinterlassen, es würde schwierig genug werden, den Verfolgern zu entkommen, und wenn sie erst wussten, dass sie hier war, dann hätte sie keine Chance mehr.
Der Abstieg in das Dünental war steil, sie wand sich an einem scharfkantigen Abriss vorbei und machte einen gewaltigen Satz nach unten, die Wucht des Aufkommens zwang sie für einen
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