Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
einer Verbeugung Rapport erteilt: »Gemäß dem Befehl Seiner Exzellenz haben wir jede Zelle durchsucht, es fehlt kein einziger Gefangener!«
»Was ist mit Sun Bing?«
»Ist fest an seinen Stein gekettet an Ort und Stelle.«
»Sun Bing ist ein verurteilter Kapitalverbrecher, der morgen hingerichtet wird. Wenn dir auch nur der kleinste Fehler unterläuft, dann wehe dir, Herr Präfekt!«
Yuan Shikai wendet sich um und geht in Richtung der Gästeresidenz. Der Präfekt erhebt sich, macht eine Verbeugung und begleitet ihn. Erleichtert stöhnen wir auf. Aber ausgerechnet in diesem Moment kommt mein Vater zur Besinnung und führt sich auf wie ein Irrer. Er erhebt sich benommen und ächzt: »Wo bin ich? Wohin habt ihr mich gebracht?«
Der Kleine Luanzi packt ihn und zieht ihn mit aller Kraft nach unten. Er fällt um und purzelt dabei direkt unter das Mondlicht. Klein Luanzi und Klein Lianzi stürzen zu ihm hin und ziehen an seinen Beinen, um ihn in den Schatten zurückzuziehen. Er strampelt und zetert: »Laßt mich los ... ihr Hundesöhne ... ich gehe nicht ... laßt mich los!«
Die Schreie meines Vaters ziehen die Aufmerksamkeit der Soldaten auf sich, schon sehen wir ihre glänzenden Bajonette und Uniformknöpfe aufblitzen. Der Achte Zhu befiehlt leise: »Kinder, lauft los!«
Klein Luanzi und Klein Lianzi lassen meinen Vater los und laufen den Soldaten direkt in die Arme. Gewehre knallen und Soldaten schreien, während sich der Achte Zhu wie ein Bussard auf meinen Vater stürzt. Es klingt, als versuche Zhu ihn mit seinen langen, agilen Fingern zu erwürgen. Ich verstehe, was in ihm vorgeht. Er will ihn umbringen, um ihm die furchtbare Sandelholzstrafe zu ersparen. Der Siebte Kleine Hou faßt mich an der Hand und zieht mich fort auf den westlichen Seitenweg, doch dort kommen uns gleich darauf Yamen-Bedienstete entgegen. Hou wirft sein Äffchen nach vorn, und es umklammert mit einem schrillen Schrei den Hals eines Entgegenkommenden, dessen Schreie durch die Nacht gellen. Der Bettler zieht mich weiter, am Büro für diplomatische Angelegenheiten vorbei hinter die Große Halle, doch aus der Zweiten Halle kommen auch Schergen des Yamen herausgelaufen. Ich höre donnernde Gewehrschüsse, das Lodern des Feuers und lautes Geschrei aus dem Vorhof zum Zeremonientor. In meine Nase dringt der Geruch von Blut und Rauch. Die silberne Scheibe des Mondes färbt sich plötzlich blutrot.
Wir laufen in Richtung Garten, um von dort einen Fluchtweg zu finden. Hinter uns laute Schritte, Kugeln zischen an unseren Ohren vorbei. Als wir auf der Höhe der kleinen Küche beim östlichen Salon sind, macht der Siebte Kleine Hou plötzlich einen Satz und seine Hand läßt mich los. Grünliches Blut, heiß wie frisch gepreßtes Öl, schießt aus seinem Rücken. Doch jemand anders ergreift meine Hand und zieht mich vom Weg herunter. Als ich über die Schulter zurückblicke, sehe ich einen Trupp Soldaten vorbeirennen.
Es ist die Frau des Präfekten. Sie zieht mich in den östlichen Salon, das private Gemach Seiner Exzellenz. Mit schnellen Bewegungen reißt sie mir die Jacke herunter und wirft sie aus dem Fenster. Dann schiebt sie mich auf das Bett mit dem Baldachin, deckt mich von Kopf bis Fuß zu, läßt die blauen Vorhänge herunter, stiehlt sich aus dem Zimmer und läßt mich dort in vollkommener Dunkelheit zurück.
Ich höre die Soldaten mit lautem Gebrüll in den hinteren Garten vordringen. Der Tumult schwappt wellenartig über die Wege, Höfe und Hallen. Aus dem Hof des östlichen Salons sind Rufe und Schritte zu hören. Mir bleibt fast das Herz stehen. Ich höre jemanden schreien: »Herr Gouverneur, das sind die privaten Gemächer des Präfekten!« Dann hörte ich, wie eine Peitsche durch die Luft zischt. Der Bettvorhang wird gelüftet, und ein eiskalter, nur mit einem dünnen Hemd bekleideter Körper schlüpft zu mir unter die Decke und drückt sich an mich. Es ist die gnädige Frau!
Man hört ein Klopfen an der Tür und dann, wie man sich am Schloß zu schaffen macht. Die Präfektin und ich halten uns eng umschlungen, ich spüre das Zittern ihres Körpers und zittere wahrscheinlich noch viel mehr. Das Schloß springt auf. Sie schiebt mich nach unten, tief unter die Decke, richtet sich auf und öffnet den bestickten Vorhang. Bestimmt ist ihr Haar in Unordnung, und ihr Hemd steht halb offen, wie bei jemandem, den man im Schlaf überrascht hat. Ich höre jemanden in gebieterischem Ton sagen: »Gnädige Frau, auf Befehl Seiner Exzellenz
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