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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Würdenträgern herausgeschritten, in formeller Kleidung und mit Hüten auf dem Kopf. Diese Gasse ist die berühmteste in der ganzen Präfektur, weil einst gleich zwei ihrer Bewohner die Doktorwürde erlangt haben. In unserer Zeit ist der berühmteste Bewohner der Gasse ein Lizentiat namens Dan Wen, dessen offizieller Name Zhaojin lautet. Er steht bei allen Bewohnern Gaomis in hohem Ansehen. Er war noch nie bei mir zu Gast, um Hundefleisch zu essen und Wein zu trinken, denn es ist jemand, der in in aller Abgeschiedenheit lebt und sich zu Hause dem Studium von Büchern und der Kalligraphie und der Landschaftsmalerei widmet. Qian Ding sprach öfters von ihm. Wann immer er die Malerei oder die Kalligraphien des Herrn Zhaojin betrachtete, leuchteten die Augen Seiner Exzellenz auf. Er strich sich dann über den Bart und rief begeistert aus: »Ach! Was für ein talentierter Mensch, wirklich großartig! Warum wird einem solchen Menschen kein Amt verliehen?« Im nächsten Moment seufzte er dann auf: »Es darf wohl nicht sein.« Seine Äußerungen verwirrten mich und ich fragte nach, was er damit sagen wolle, doch er antwortete nicht. Statt dessen tätschelte er mir die Schulter und sagte: »Alle talentierten Personen aus Gaomi haben ihn unterstützt, doch der kaiserliche Hof ist dabei, das traditionelle Beamtenprüfungssystem abzuschaffen. Deshalb wird er keine Gelegenheit mehr haben, die letzte Hürde zu nehmen und die höchste Beamtenprüfung am Hof abzulegen!« Ich betrachtete die Berge und die Bäume auf den Bildern, die so natürlich wirkten, als seien sie echt, die angedeuteten Silhouetten von Menschen, die schwungvolle Kalligraphie. Ich konnte daran nichts Besonderes finden. Ich bin nur eine einfache Frau, außer ein paar Arien der Katzenoper singen kann ich nichts. Aber Seine Exzellenz Qian hält einen Doktortitel, er ist bekannt für seine umfassende Bildung. Er versteht etwas davon. Wenn er sagt, daß etwas gut ist, dann ist dem auch so. Und da er diesen Herrn Dan so sehr schätzt, muß dieser von außergewöhnlichem Talent sein. Magister Dan hat dichte Augenbrauen über großen Augen, ein langes Gesicht, eine große Nase und einen großen Mund. Sein Bart ist zwar schöner als der der meisten Männer, aber lange nicht so schön wie der meines Vaters oder der Qian Dings. Seitdem meinem Vater der Bart ausgerissen wurde, ist der Bart Qian Dings unbestreitbar der schönste in ganz Gaomi. Immerhin hat Lizentiat Dan nun den zweitschönsten Bart. Man muß nur sehen, wie er dort die Gruppe von Leuten anführt, hocherhobenen Hauptes, wirklich beeindruckend. Nur läßt ihn sein schiefer Hals etwas grobschlächtig aussehen, so gar nicht wie einen studierten Menschen, sondern eher wie den Chef einer Räuberbande in den Bergen. Nun aber führt er die Gruppe von Würdenträgern an, die sich auf den Weg ins Yamen gemacht hat. Der Große mit dem Hut mit der roten Quaste ist der Geschäftsmann Li Shizeng. Der Dünne, der immerzu blinzelt, ist Su Ziqing, der Inhaber des Stoffladens. Dann ist da noch Qin Renmei, ein Mann mit leichten Pockennarben im Gesicht, der Besitzer der Apotheke ... alles, was in Gaomi Rang und Namen hat, ist zur Stelle. Einige dieser Männer blicken ernst und würdevoll geradeaus, andere sehen sich ständig nach rechts und links um, als müßten sie irgendwo Halt suchen. Wieder andere haben den Kopf gesenkt und blicken auf ihre Zehenspitzen, als ob sie lieber nicht erkannt werden möchten. Kaum sind sie aus der Gasse der Familie Dan heraus, ziehen sie alle Blicke auf sich. Mancher fragt sich noch, was sie wohl vorhaben. Andere begreifen sofort und sagen: »Gut so, so ist es recht! Der Herr Magister Dan verläßt sein Haus  – das heißt, Sun Bings Leben ist gerettet!«
    »Selbst Yuan Shikai kann es nicht zulassen, daß Dan Wen das Gesicht verliert!«
    »Selbst der Kaiser kann gegen den Willen des Volks nichts ausrichten. Kommt, wir schließen uns ihnen an!«
    Auf diese Weise sammelt sich eine größere Menschenmenge im Gefolge von Magister Dan und den anderen Honoratioren der Stadt vor dem Yamen. In die deutschen und die chinesischen Soldaten zu beiden Seiten des Haupttores kommt Leben. Sie schrecken auf wie schläfrige Hunde, die man mit einem Eimer kaltem Wasser übergießt, und greifen sofort nach ihren Gewehren. Ich sehe die grünen Augen der Deutschen geradezu Feuer sprühen.
    Seitdem die deutschen Teufel Qingdao besetzt haben, sind mir einige merkwürdige Geschichten über sie zu Ohren gekommen. Man

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