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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Sympathie für den Präfekten, dem er sich verbunden fühlte wie einem verschollen geglaubten Bruder. Die Brüder trafen oben auf dem Tribunal aufeinander, gedachten alter Zeiten und vergossen heiße Tränen ...
    Der Präfekt schlug mit dem Richterholz auf den Tisch, und seine klare und tiefe Stimme schallte durch den Raum. Sun Bing, der gedankenverloren in sich zusammengesunken war, drückte erschrocken den Rücken durch. Ein Blick in das Gesicht des Präfekten riß ihn aus seinen Tagträumen. Nein, das hier war keine Oper und der Präfekt war kein Schauspieler. Weder spielte der Präfekt die Rolle des älteren Helden mit Bart noch er die Rolle eines Protagonisten mit bemaltem Gesicht.
    »Du da, in der Mitte der Halle, sag uns deinen Namen!«
    »Meine Wenigkeit heißt Sun Bing.«
    »Woher?«
    »Aus dem Bezirk Dongbei.«
    »Wie alt?«
    »Fünfundvierzig.«
    »Beruf?«
    »Direktor einer Schauspieltruppe.«
    »Weißt du, warum du hier vorgeführt wirst?«
    »Ich habe im Rausch wirre Reden geführt, mit denen ich Exzellenz beleidigte.«
    »Welchen Inhalts waren diese wirren Reden?«
    »Ich wage nicht, sie zu wiederholen.«
    »Sage es nur frei heraus.«
    »Ich wage es nicht.«
    »Los, rede!«
    »Meine Wenigkeit hat gesagt, daß der Bart Seiner Exzellenz sich nicht mit den Haaren auf meinem Schwanz messen kann.«
    Von beiden Seiten des Tribunals war unterdrücktes Kichern zu vernehmen. Für einen Moment huschte auch über das Gesicht des Präfekten ein spöttisches Lächeln, doch dieser faßte sich schnell und setzte wieder ein würdevolles Gesicht auf.
    »Was für eine ungeheure Frechheit, Sun Bing.« Der Präfekt schlug laut das Richterholz auf den Tisch. »Wie kannst du dir erlauben, mich so zu beleidigen?«
    »Meine Wenigkeit verdient den Tod ... Ich hatte sagen hören, daß Euer Bart vortrefflich sei, und begehrte innerlich dagegen auf, so daß ungehörige Worte aus meinem Mund drangen ...«
    »Möchtest du deinen Bart mit dem meinen vergleichen?«
    »An meiner Person ist nichts Außergewöhnliches, außer diesem Bart, von dem ich annahm, er sei der schönste unter dem Himmel. Selbst die Rolle des Guan Yu in ›Das Bankett mit nur einem Schwert‹ habe ich ohne falschen Bart gespielt.«
    Welle um Welle strömt der Jangtse nach Osten, und wir lassen uns treiben in unserem Boot. Der Palast von Drache und Phönix im neunten Himmel liegt hinter uns, vor uns ein langer Weg voll Unheil und Gefahren ...
    »Steh auf, damit ich mir deinen Bart ansehen kann.«
    Sun Bing erhob sich unsicher, als stünde er gerade auf jenem kleinen Boot im Wellengang.
    Es sind nur die Flaggen des Königs Wu, die man im Osten flattern sieht, wovor habt ihr Angst? Gleicht ihr nicht dem Tiger in einer Herde von Schafen?
    »Das ist in der Tat ein schöner Bart, aber es ist nicht gesagt, daß er besser ist als der meine.«
    »Ich bin anderer Meinung.«
    »Auf welche Art sollen wir unsere Bärte miteinander vergleichen?«
    »Ich schlage die Wassermethode vor.«
    »Erläutere das!«
    »Mein Bart treibt nicht auf der Wasseroberfläche. Er sinkt stracks auf den Grund.«
    »Tatsächlich?« Seine Exzellenz Qian strich sich über den Bart und verfiel für einen Moment ins Nachdenken, bevor er antwortete. »Und wenn du verlierst?«
    »Wenn ich verliere, dann ist mein Bart nicht mehr wert als die Haare auf dem Schwanz Seiner Exzellenz!«
    Durch den Saal ging unkontrolliertes Gelächter. Der Präfekt schlug heftig mit dem Richtholz auf den Tisch und rief mit strenger Stimme: »Nicht so vorlaut, Sun Bing! Wagst du dich immer noch, mir gegenüber so schmutzige Worte im Mund zu führen!«
    »Ich verdiene den Tod.«
    »Sun Bing, du hast es gewagt, einen vom Hofe bestallten Beamten zu beleidigen. Dafür könnte ich dich schwer bestrafen lassen. Doch ich erkenne in dir einen ehrlichen und aufrechten Mann, der bereit ist, für seine Taten einzustehen, daher will ich Gnade vor Recht ergehen lassen und mich einem Wettkampf mit dir stellen. Falls du gewinnst, bist du ein freier Mann. Doch falls du verlierst, wirst du dazu verurteilt, dir eigenhändig den Bart auszureißen und ihn dir fortan nie wieder wachsen zu lassen! Bist du einverstanden?«
    »Jawohl, das bin ich.«
    »Ich erkläre die Sitzung für beendet!« Mit diesen Worten stand Qian Ding auf und verschwand wie ein frischer Wind hinter den Paravents der Halle.

5.
    Als Austragungsort des Wettstreits wurde der Hof zwischen dem Haupttor und dem Zeremonientor des Yamen festgelegt. Seine Exzellenz Qian wollte kein

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