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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ritter
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weil sie gedacht haben, sie sind gerade wichtig, dann wäre ich nicht so alt geworden. Sie sind gleich dran, erst mal möchte ich erfahren, wo Heidi Klum gedenkt, dieses Jahr ihren Urlaub zu verbringen. Es gibt da widersprüchliche Angaben in der Presse.«
    »Sie können die Gala mit nach Hause nehmen«, sage ich. »Ich schenke sie Ihnen.«
    »Ach«, sagt sie, schlägt das Heft augenblicklich zu und sieht nach oben zu mir, »dann muss es ja wirklich wichtig sein, wenn Sie mal was verschenken.«
    Dass sie seit Jahren eine Gratis-Flatrate auf den unverkauften Blumenkohl hat, fällt in ihrer spitzen Argumentation elegant unter den Tisch. Egal. Ich brauche die Frau.
    »Also, Frau Rottenbauer, ich brauche Ihre Hilfe.«
    »Sie? Meine? Soll ich Ihnen beim Käseschneiden helfen?«
    »Nein, ich bin am Montag bei Wer wird Millionär in der Sendung.«
    Es fühlt sich gut an, das so frei auszusprechen.
    »Beim JAUCH ?«, ruft sie, veritabel überrascht. » SIE ?«
    »Frau Rottenbauer, bitte, das ist eine Art … Geheimnis. Nicht so laut.«
    »Ich schicke seit zehn Jahren Postkarten an den Herrn Jauch und wurde noch nie in die Sendung eingeladen.«
    »Das tut mir leid. Aber genau darum geht es, um die Sendung. Sie können dabei sein. Und zwar als mein Telefonjoker. Das würde mich sehr freuen.«
    »Ach Paul, das ist aber lieb von Ihnen.«
    »Machen Sie’s?«
    »Da müsste ich erst einmal im Telefonbuch nachsehen, wie eigentlich meine Nummer ist. Ich telefoniere so gut wie nie. Aber das kriegen wir raus.«
    »Da bin ich mir sicher.«
    »Ich würde so gern mal mit dem Herrn Jauch reden«, sagt sie sehnsüchtig.
    »Also machen wir es? Sind Sie dabei?«
    »Natürlich. Ich nehme zehn Prozent vom Gesamtgewinn, wenn ich Ihnen weiterhelfen kann.«
    Mit Bedingungen hatte ich nicht gerechnet. Das Angebot erscheint mir jedoch gleichermaßen überraschend wie fair.
    »Abgemacht«, sage ich und habe meinen zweiten Telefonjoker im Sack, Fachgebiete Nachrichten, Weltgeschehen, erlebte Geschichte und Prominente.
    Dass ich Herrn Müller schon vorher gefragt habe, ob er Telefonjoker sein will, fand ich selbstverständlich. Er kam nicht mal auf die Idee einer Beteiligung an der Gewinnsumme. Zwar hat er es erst bedauert, dass er dann nicht mit ins Studio zur Aufzeichnung kommen kann, aber dass es eine größere Ehrung ist, Telefonjoker zu sein und direkt beim Spiel helfen zu können, als nur im Publikum zu hocken und seinem Gesicht einen Ausdruck von Daumendrücken zu verleihen, war uns beiden ohne Worte klar. Jetzt nehme ich eben Katja mit nach Köln. Sie hat sich sehr über diesen Vorschlag gefreut. Telefonjoker Nummer drei klarzumachen, wird etwas anstrengender werden, das habe ich bislang rausgeschoben.
    »Ist hier alles in Ordnung?«, fragt Etienne, der hinter dem Katzenfutterregal auftaucht. »Hat mich jemand gerufen?«
    »Alles in bester Ordnung, junger Mann«, sagt Frau Rottenbauer und zwinkert mir verschwörerisch zu. »Wir haben uns nur über Heidi Klums Urlaubspläne ausgetauscht.«
    Donnerstag, 19.00
    Sie wird mich fragen, ob ich mich im Datum vertan habe, es sei schließlich noch nicht Weihnachten. Mit Sicherheit wird sie das fragen. Unsere Beziehung basiert nicht gerade auf Herzlichkeit und Anteilnahme am Leben des anderen.
    Nachdem meine Mutter uns als Kinder zu resoluten Vegetariern hatte erziehen wollen, unter anderem durch den schon erwähnten Lauchtag, kam sie auf die Idee, dass es noch mehr Spaß bringen könnte, nicht nur ihren eigenen Kindern vorzuschreiben, was das Beste für sie ist. Kaum ein Jahr nach meinem von beiden Seiten lange herbeigesehnten endgültigen Auszug kam ihr erstes Lebensratgeberbuch auf den Markt, »Life mit Style«. Um was es darin exakt ging, weiß ich nicht, ich habe mir nie ein Exemplar zugelegt. Das haben dafür umso mehr andere Menschen getan, weshalb meine Mutter für ein paar Wochen auf der SPIEGEL -Bestsellerliste im Bereich Sachbuch landete. Durch ihre drastische Zunahme an Popularität meinte sie, an anderen Stellen abspecken zu müssen. Sie trennte sich erst von meinem Vater und sehr kurze Zeit später auch noch von der Hälfte ihres Vornamens, Vero Wildensorg steht seitdem auf jedem ihrer Bücher. Auf »Life mit Style« folgten »Life mit mehr Style«, »Fit mit Fun« und »Beauty mit Nature«. Ziemlich dumme Titel, ich weiß, vor allem der letzte, aber die »Mit-Bücher« laufen einfach. Wenn ich also eine Frage kriegen sollte, in der es um irgendwas geht, was man sich ins Gesicht schmieren

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