Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
schließlich mit Bedacht den Finger zum Monitor führen. Keine Konkurrenz.
Richart N. Streit, Ende zwanzig, trägt einen Schal und isst bedenklich viele Mozartkugeln. Er ist Schriftsteller, sagt er, aber wenn man ihn fragt, welches Buch man von ihm kennen sollte, antwortet er nur: »Ich habe einen ganz speziellen Leserkreis.« Wenn man ihn fragt, wofür das N in seinem Namen steht, sagt er »Nordpol«. Ein komischer Typ. Aber er hat ein billiges Smartphone dabei, also ist er am Touchscreen sicher gut. Könnte gefährlich werden.
Oliver Kromberger, achtzehn Jahre. Typischer Streber mit Polohemd, der sich viel darauf einbildet, sein Abi mit einem unteren Einserschnitt gemacht zu haben. Plant natürlich bald eine Australienreise, wie einfallsreich. Er glaubt mit Sicherheit, er weiß alles und keiner kann ihm was, aber es gibt noch sehr viel Wissen außerhalb von Schulbüchern. Sollte er es auf den Stuhl schaffen, geht er mit maximal 4000 nach Hause, weil Herr Jauch ihn nicht leiden können und ihm nicht helfen wird. Andererseits ist er bei der passenden Auswahlfrage sicher ganz flott unterwegs. Könnte ein bisschen gefährlich werden.
Sabine Füchsla, irgendwas zwischen vierzig und fünfzig, eine echte Planschkuh aus Franken. Sie redet sehr laut und sehr gerne und wird nicht müde, jedem, der ihren Weg kreuzt, ihre Standardkandidatenfloskeln um die Ohren zu hauen: »Wir haben ja schon gewonnen, weil wir hier sind. Immerhin eine Reise nach Köln!« Oder: »Ich weiß auch nicht, wie ich es bis hierhin geschafft habe, ich wusste eigentlich nichts bei den Telefonfragen.« Oder: »Das ist ja alles so aufregend!!« Beziehungsweise: »Ich freue mich auch für dich, wenn du gewinnst. Du schaffst es bestimmt. Toi toi toi.« Sollte sie es, Gott bewahre, auf den Stuhl schaffen, kriegen wir sicherlich noch zu hören, dass es zu Hause auf der Couch viel einfacher sei und 500 Euro auch nicht wenig Geld. Absolut keine Konkurrenz.
In unseren ungezwungenen Kennenlerngesprächen, mit denen wir die Zeit überbrücken, geht es neben der eigenen Person natürlich hauptsächlich um zwei Dinge: Wann treffen wir endlich Günther Jauch, und wie geht es hier überhaupt weiter? Beide Fragen beantwortet uns eine junge Frau in engen weißen Jeans und violettem Hemd, die pferdeschwanzschwenkend in den Raum joggt. Sie trägt ein iPad in der Hand, sieht alles andere als wichtig aus, ist es aber anscheinend. Statt verbal um Ruhe zu bitten, holt sie eine Trillerpfeife aus der Tasche und bläst mit aller Kraft hinein. Die arme alte Cordula konnte sie nicht hereinkommen sehen, da sie mit dem Rücken zur Tür sitzt, schreit bei dem Pfiff ängstlich auf und greift sich abrupt an die Brust. Der Köln-Hürther Ersatzkandidat reckt in der Raucherzelle neugierig den Kopf. Nicht weiter auf die sich nur langsam wieder einkriegende Cordula achtend, in der womöglich durch den Pfiff ein altes Kriegstrauma wieder aufgeknackt ist, begrüßt uns die sportliche junge Dame, ohne vom iPad aufzusehen:
»Herzlich willkommen, liebe Kandidaten. Ich bin Donna und überprüfe nun Ihre Anwesenheit. Paul Wildensorg.«
»Ich bin da«, sage ich. Für mich ist es schon was Besonderes, auf einer Liste vorne zu stehen, denn üblicherweise geht es ja nach Nachnamen-Alphabet.
Auch die anderen bestätigen, dass sie anwesend sind, und Donna fährt fort: »Zu Ihrer aller Freude werden wir jetzt ins Studio gehen, und ich werde Sie mit den Geräten vertraut machen. Denken Sie immer daran, dass wir das hier schon ein paar Hundert Mal gemacht haben. Für uns ist das alles Alltag. Dass Sie aufgeregt sind, setze ich voraus, das müssen Sie mir nicht extra sagen. Mir nach!«
Sie dreht sich um, offenbar in der Erwartung, Zustimmung und Aufstehgeräusche von uns zu hören. Cordula und Richart tun ihr den Gefallen, da ihre Knie knacken, als sie sich erheben, bei Cordula gleich mehrmals. Donna kontrolliert durch Schulterblick, dass wir alle stehen, und setzt sich in Bewegung. Wir folgen aufgereiht.
Das erinnert mich irgendwie an die Ausflüge damals im Kindergarten. Es ging meistens auf eine Wiese zum Blumenpflücken, im Winter zur pädagogisch wertvollen Schneeballschlacht mit einem Baum als einzigem erlaubtem Ziel. Kindergartentante Magda voraus, wir Kinder aus der Wacholdergruppe in Zweierreihen hinterher, Hand in Hand, am Ende irgendeine Praktikantin, die erst auf locker gemacht und dann irgendwann geweint hat, weil ihr alle auf der Nase rumtanzten. Das kann Donna nicht passieren, sie
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