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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ritter
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Uhr: Probe« zum Beispiel. Was wird da geprobt? Darf jeder schon mal auf dem Spielstuhl Platz nehmen, damit im Zweifelsfall ein anderer, stabilerer Stuhl beschafft werden kann? Keine Ahnung. Unsere ersten Programmpunkte sind nun »12 Uhr: Transfer zum Hotel«, »13 Uhr: Transfer zum Studio« und »13.30 Uhr: Kölnrundfahrt und Brauhausbesuch für die Begleitpersonen.« Logisch eigentlich, dass denen ein Unterhaltungsprogramm angeboten wird, die Aufzeichnung ist erst um achtzehn Uhr, da können sie durchaus vorher was erleben, statt nur danebenzusitzen, während wir auf die Sendung eingestimmt werden.
    »Was ich mich die ganze Zeit frage«, sagt Katja, als wir schon zum Aussteigen bereit in der Schlange stehen, die sich von der Tür bis zur Mitte des Wagens zieht, »wieso ist die Sendung eigentlich nicht live?«
    Das ist nun wirklich eine Wer-wird-Millionär -Grundkursfrage.
    »Wegen den Telefonjokern«, sage ich, ohne weitere Erklärungen.
    »Ahh!«, sagt sie verstehend, muss aber offensichtlich weiter darüber nachdenken.
    Als wir aussteigen, bemerke ich direkt vor mir meinen Namen. Eine junge, hübsche Frau, deren Outfit einem Stewardessdress sehr nahe kommt, hält ein Schild, auf das sie wahrscheinlich selbst WILDENSORG geschrieben hat. So viele Schnörkel habe ich an meinem Namen noch nie gesehen. Sie begrüßt uns mit einem Knicks und führt uns nach unten, durch den Bahnhof hindurch, über den Vorplatz, zu einem bereitstehenden Kleintransporter mit getönten Scheiben. Als ich einsteige, wummert mein Herz wie wild. Jetzt geht das Abenteuer so richtig los. Die Aufregung muss ich noch irgendwie in den Griff bekommen, wenn ich den heutigen Tag ohne Folgeschäden überleben will.
    Montag, 14.00
    Der Aufenthaltsraum für die Kandidaten ist recht großzügig. Zehn runde, polierte Holztischchen mit je vier Stühlen drum herum; die sind zwar recht niedrig, und irgendwie sehen sie wie Gartenmöblierung aus, aber dafür gibt es eine Bar. Und eine Raucherzelle wie auf dem Flughafen. Doppelt so groß wie eine Telefonzelle vielleicht, also wie die alten gelben, rundum verglast, mit Schiebetür und einem Abluftrohr, das in die Decke führt. Die Decke ist sehr hoch. Ich glaube, die Decken sind hier überall sehr hoch. Ist ja ein Studiokomplex, da braucht es Platz. Nebenan wird SternTV aufgezeichnet, habe ich gelesen, und das Big-Brother-Haus aus den ersten drei Staffeln steht auch auf dem Gelände. Groß was los hier.
    In der Raucherzelle steht ein grauhäutiger Mann, wahrscheinlich einer meiner Gegner. Er drückt gerade seine Kippe aus und kommt begleitet von bellendem Husten heraus. Kann ja nicht schaden, ihm erst mal freundlich zu begegnen, wahrscheinlich verbringen wir die nächsten paar Stunden miteinander, bevor wir in die Aufzeichnung gehen. Also trete ich auf ihn zu und strecke ihm die Hand entgegen.
    »Hallo, ich bin Paul. Auch Kandidat hier?«
    Er hustet irgendwas von fester Konsistenz auf den Boden neben sich und komplettiert dann den Handschlag mit mir.
    »Ja, Dauerkandidat sozusagen. Ich bin einer, der einspringt, wenn ein Kandidat kurzfristig krank wird oder so. Wohne gleich um die Ecke, in Hürth. Keine schöne Gegend. Früher war hier mehr Fernsehen.«
    »Ach«, sage ich.
    »Mit dir alles in Ordnung?«, fragt er. »Keine Übelkeitsattacken? Virus eingefangen oder so?«
    Ich weiß nicht, inwieweit er das nun lustig meint.
    »Alles bestens«, sage ich.
    »Dann is ja gut«, sagt er, dreht sich um und geht wieder in die Raucherkabine. Er hat es nicht lustig gemeint. Und seinen Namen hat er mir auch nicht verraten.
    Eine halbe Stunde später sind die richtigen Kandidaten alle da, meine Gegner. Ich habe mich mit allen bekannt gemacht, was bleibt mir anderes übrig? Unsere Begleitpersonen werden wohl schon beim dritten Kölsch im Brauhaus sein. Ich bilde mir jedenfalls ein, gegen diese Auswahl an Gegnern eine ganz gute Chance zu haben. Das sind sie:
    Cordula von Schnuckitz, Mitte siebzig, alter Landadel aus der Gegend von Hannover. Wirkt sehr belesen und distinguiert. Sie hat wache, neugierige Äuglein in einem aufgequollenen Gesicht, das so irgendwie gar nicht zu ihrem Klapperkörper passen will. Sie erinnert an ein Strichmännchen mit ihrem Riesenkopf. Und sie sieht so aus, als würde sie sich, wenn die Auswahlfrage kommt, erst mal in aller Ruhe die Lesebrille aufzwängen, die Hände vor dem Gesicht falten, die Antworten ausführlich studieren, dann zu sich sagen »Auf geht’s, Cordula, das weißt du, ABDC « und

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