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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ritter
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oder an einer beliebigen anderen Körperstelle auflegen oder verschwinden lassen kann, Vero Wildensorg wird es kennen.
    »Paul?«, sagt sie zur Begrüßung am Telefon, und es klingt so, als müsste sie erst mal überlegen, wer dieser Paul ist. Ein entfernter Bekannter vielleicht? »Es ist noch lange nicht Weihnachten. Wieso rufst du an?«
    »Ich wollte mal nachfragen, wie es dir geht und was du am Montag vorhast.«
    »Am Montag lese ich in Esslingen aus ›Body mit Shape‹, meinem neuesten Ratgeber. Würdest du regelmäßig auf meine Website gehen, wüsstest du das und müsstest mich nicht extra anrufen. Genauso wüsstest du dann, dass ich gerade in Dinslaken bin und, na, rate!«
    »Gleich aus ›Body in Shape‹ lesen wirst?«
    »Mit, Paul, mit! ›Body mit Shape‹. Die Lesung geht in einer Stunde los, ich bin schon ganz hibbelig – und lasse mich im Moment massieren. Ein bisschen weiter unten, Rodrigo, ooooh ja.«
    »Señora«, höre ich einen leisen Rodrigo, was in diesem Fall wohl so viel wie »zu Ihren Diensten« bedeuten soll.
    »Ich bin am Montag im Fernsehen, bei …«
    »Ach Schatz, das ist ja allerliebst. Du auch? Dass ich die neue Lifestyle-und-Beauty-Expertin im Frühstücksfernsehen geworden bin, hast du ja sicher mitbekommen?! Jeden Freitag, kurz nach neun, kompetent mit Tipps und Tricks aus dem Plauder- und Puderdöschen. Also, erzähl mir gern in aller Ruhe und in maximal fünf Minuten, wie ich dir nun konkret helfen soll. Weiter oben, Rodrigo. Fester!«
    Ich lege ihr mein Anliegen dar, und sie wird plötzlich regelrecht euphorisch:
    »Dann musst du dem Herrn Jauch aber auch ein bisschen über mich und meine Ratgeber erzählen, wenn die Telefonjoker eingeblendet werden. Das interessiert ihn mit Sicherheit. Andererseits, es würde mich nicht wundern, würde er die Mit-Bücher schon kennen.«
    »Das ist natürlich versprochen.«
    »Ja, Rodrigo, genau da.«
    Es entsteht eine kurze Redepause, in der sie zweimal genussvoll aufstöhnt.
    »Also Paul, klär einfach alles Weitere mit meinem Manager. Die Nummer findest du auf meiner Website. Wenn du ihn anrufst, sag direkt am Anfang Butterblume , das ist das Codewort, dann weiß er, dass ich approved habe.«
    Ich möchte sie nicht fragen, wie genau ihre Homepageadresse ist, das wird Google schon wissen.
    Ich wünsche ihr viel Glück mit ihrer Lesung.
    »Erfolg braucht kein Glück, Paul, Erfolg braucht Engagement.«
    Das war wohl ihr Ersatz für ein freundliches »Tschüs, mein Junge«. Bevor ich mich verabschieden kann, hat sie mich schon weggedrückt.
    Wo liegt eigentlich Dinslaken? Ich muss wohl mal ein bisschen die Deutschland-Karte pauken. Noch viermal schlafen, dann ist es so weit. Plötzlich scheint alles ganz schnell zu gehen.
    Montag, 11.46
    »Kuck mal, Papa, da ist der Kölner Dom! Papa! Papa! Kuck mal, Papa, da ist der Kölner Dom! Der Kölner Dom! Papa!«
    Endlich, der Kölner Dom. Durch unsere Platzreservierung, zwei gegenüberliegende Tischplätze am Fenster, hatte ich die letzten Stunden über die Gelegenheit, am Familienleben des Kindes und seines schweigsamen Vaters auf unseren Nachbarplätzen teilzunehmen. Vater liest Zeitung, Kind neben mir spielt mit vollem Engagement und Körpereinsatz auf irgendeinem Gerät, das wohl ein Nachfolger vom Game Boy ist, irgendein Spiel und schreit alle paar Minuten einfach so »Bob der Baumeister!«, was die Konzentration seines Vaters nicht im Mindesten beeinflusst.
    »Ja«, sagt der Vater, »der Kölner Dom.«
    Katja schaut ähnlich fasziniert wie das Kind aus dem Fenster, als wir über die Deutzer Brücke in den Kölner Hauptbahnhof einfahren, sagt aber zur Abwechslung mal nichts.
    Ihr größtes Anliegen war es, dass ich gegenüber Herrn Jauch ihre Begabung im Sprechsegment erwähnen soll. »Das schauen ganz schön viele Leute an – wenn ich da ein paar perfekte Sätze sage, werde ich mich vor Angeboten nicht mehr retten können. Und wenn ich dann irgendwann vielleicht selbst Kandidatin bin, dann wird am Anfang bei der Vorstellung gesagt, dass meine Stimme mein Kapital ist.«
    So verbindet jeder seine eigenen Träume mit dem heutigen Tag.
    Was bei der Vorstellung eigentlich über mich gesagt werden wird, wollte Katja auch wissen. Ich wusste und weiß es nicht. Hoffentlich werde ich damit zufrieden sein, wenn ich es irgendwann weiß. Es gibt so viele Details, die mir noch nicht ganz klar sind. Der Ablaufplan ist zwar durchaus minutiös, aber an manchen Stellen auch etwas sehr allgemein gehalten. »Ca. 14

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