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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ritter
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ist ziemlich autoritär. Es nimmt sich auch niemand an der Hand.
    Seit ich als Zuschauer hier war, hat sich das Studio – bis auf das Logo – nicht verändert. Aber von der Mitte aus betrachtet wirkt es natürlich noch mal ganz anders. Es ist verdammt klein. Von der letzten Publikumsreihe bis zu Günther Jauchs Stuhl sind es keine zehn Meter. Er und sein Stuhl sind im Übrigen noch nicht da. Logisch, am Ende der letzten Sendung hat ein Kandidat 64 000 gewonnen, und dann war keine Zeit mehr für eine neue Auswahlrunde. Also beginnt die Sendung mit der Frage an uns, und da braucht es die Stühle in der Mitte noch nicht; am Anfang ist die Bühne immer leer, wenn der Kandidat noch nicht feststeht, internationaler Standard, wie die Kamerafahrten. Außerdem steigert das meine Chancen auf einen Gewinn beträchtlich. Selbst wenn es einer vor mir schaffen sollte, wird es mit ziemlicher Sicherheit eine zweite Auswahlrunde innerhalb der Sendung geben. Vielleicht sogar eine dritte. Das wäre aber das höchste der Gefühle. Bei einer Netto-Sendungszeit von fünfundvierzig Minuten ist wirklich nicht mehr drin. Fünfundvierzig Minuten! Bis die beginnen, dauert es noch vier bis fünf Stunden oder so. Was sollen wir in der Zeit eigentlich tun? Katja wird voll bis unter die Hutkrempe sein, wenn sie sie wieder aus dem Brauhaus rauslassen. Wahrscheinlich wirken die Begleitpersonen deshalb immer so entspannt und in sich gekehrt, wenn sie da hinter den Kandidaten im Scheinwerferspot sitzen. Die sind einfach mit zehn Stangen Kölsch abgefüllt und können maximal den Kopf schütteln, wenn Herr Jauch sie fragt, ob sie die Antwort wüssten, oder im äußersten Notfall noch sagen: »Ja, zu Hause ist er auch so.«
    Wir sitzen auf den Stühlen am Bühnenrand, so, wie wir nachher auch sitzen werden. Die Reihenfolge hat irgendjemand festgelegt, an den Monitoren hängen Zettel mit unseren Namen drauf. Donna steht links von uns, vor dem Eingang, wo auch Günther Jauch später stehen wird, und erklärt: »Wir spielen jetzt drei muntere Runden Auswahlfragen, okay? Das sollte reichen, um Sie an den Touchscreen zu gewöhnen. Wenn Sie es vorher genauer erklärt haben möchten«, sie sieht direkt zu Cordula und zu Sabine, »sagen Sie das. Aber mit dem Finger auf einen Monitor tippen ist kein Hexenwerk. Wenn wir das hinter uns haben, machen wir eine Durchlaufprobe. Was heißt Durchlaufprobe? Die Anfangsmusik kommt, und die Kameras fahren vor Ihnen herum, wie sie es später auch tun werden. Wenn das rote Licht an der Kamera vor Ihnen leuchtet, werden Sie vorgestellt. Dann sind Sie im Bild, und Sie können winken und lächeln oder Ihr Stofftier zeigen oder Guten Abend sagen, obwohl das nicht viel Sinn macht, weil man Sie nicht hört. Der Off-Sprecher ist noch nicht da, also lese ich vor, was er später zu Ihnen sagen wird. Da können Sie gespannt sein. Also: Erste Runde Auswahlfragen, los! Ordnen Sie die Jahreszeiten und beginnen Sie am Jahresanfang.«
    Auf dem Bildschirm tauchen Frühling, Sommer, Herbst und Winter schon in der richtigen Reihenfolge auf. Ich tippe zuerst den Winter, dann Frühling, Sommer und Herbst und OK . Da ich in der Mitte sitze, erkenne ich mit zwei schnellen Blicken zur Seite, dass nur Oliver schneller als ich war und schon breit grinsend mit verschränkten Armen dasitzt. Richart loggt in diesem Moment ein, und Cordula drückt mit der ganzen Hand. Sabine lacht über sich selbst, weil sie ihre Antwort noch einmal korrigieren muss. Donna sieht auf ihre Armbanduhr. »Stopp!«, ruft sie. »Das waren zwanzig Sekunden. Später kann man dann nicht mehr einloggen. Also, schauen wir uns das Ergebnis mal an …« Sie wischt kurz über ihr iPad. »Paul Wildensorg hat gewonnen. Als Einziger alles richtig. Wenn das Jahr beginnt, ist nämlich Winter und nicht Frühling. Man sollte auch mal kurz nachdenken, bevor man drückt.«
    »Ich hab mir schon so was gedacht!«, sagt Sabine, haut sich selbst auf den Oberschenkel und lacht etwas debil. Oliver wirkt verunsichert und sieht so aus, als würde er sich melden und irgendeine andere richtige Antwort geben wollen, um sein Versagen wiedergutzumachen und ein Fleißsternchen zu kassieren.
    »Nächste Frage«, sagt Donna. »Was bellt?«
    Die Antworten D, H, N und U tauchen auf. Das ist wohl eine der berühmten Deppenfragen, die gestellt werden, wenn beim ersten Versuch alle danebenlagen. Ich bin sehr schnell, aber Donna verkündet, dass Oliver zwei Zehntelsekunden schneller war als ich, außerdem

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