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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ritter
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nicht sein. Ich sehe noch einmal auf den Bildschirm:
    Ordnen Sie die Bremer Stadtmusikanten von unten nach oben. Das steht da. Nix mit meinem Laden, nix mit Frau Oberhaid. Das gibt’s doch nicht. Wie konnte das denn …
    »Viermal richtig, und der Schnellste war: Oliver Kromberger«, sagt Herr Jauch. Dööö-dö-dömmm.
    Oliver schnellt hoch, als hätte er Sprungfedern unter den Schuhen, die Leute klatschen brav, ich falle fast vom Stuhl. Was war da denn los mit mir? Was ist los mit mir? Mir ist noch immer total schwindlig. Ich brauche einen Schluck Wasser. Doof, dass wir kein Wasser neben uns stehen haben, nur beim Ratestuhl gibt es ein Glas, aber der ist noch nicht mal aufgebaut. Erst mal stellt sich Oliver neben Günther Jauch, lässt sich die Hand schütteln, dreht sich in die Kamera, und dann verharren sie fünf Sekunden in genau dieser Position. »Umbaupause«, ruft der Aufnahmeleiter hinter der Kamera. Otto fragt sofort Richtung Günther Jauch: »Wie lang dauert das?«
    »Ach, nur so drei Minuten.«
    »Kann ich schnell eine rauchen gehen?«
    Donna kommt in die Szenerie gelaufen und nimmt Herrn Jauch die Alltagssorgen ab: »Nein, Herr Viersen, Rauchen ist nicht. Das steht auch in Ihrem Vertrag.« Hinter Donna rollen irgendwelche jungen Leute auf mehreren Hubwagen die Aufbauten für die Ratestühle heran.
    »Eigentlich sollten gerade Sie wissen, dass Sie während der Aufzeichnung das Studio nicht verlassen dürfen. Sie sind doch nicht zum ersten Mal hier. Wie sehen Sie denn aus?« Diese Frage ist an mich gerichtet. Mein Unwohlsein ist wohl nicht nur innerlich.
    »Der Mann braucht Frischluft. Und was zu trinken!«, schreit Donna in einer Lautstärke und Frequenz, die an ihre Pfeife heranreicht. Während nebenan auf dem Podest der Kandidatenstuhl und der Jauchstuhl und die Halterung für die jeweiligen Monitore an den Markierungen ausgerichtet werden, steht plötzlich ein weiterer junger Mensch – wo kommen die auf einmal alle her? – mit einem feuchten Handtuch da und wedelt damit vor mir herum wie ein Saunameister. Ein anderer junger Mensch reicht mir ein Glas Wasser, sin gas . Es scheint nicht weiter ungewöhnlich zu sein, dass einem Kandidat der Kreislauf abstürzt, alle Hilfsmaßnahmen werden so glatt abgespult, als würde das bei jeder Sendung passieren.
    »Tauschen Sie da oben mal die Plätze bitte«, sagt Donna. »Die Begleitperson muss auf den Platz, auf den der Scheinwerfer ausgerichtet ist. Und ja, die Stuhlreihen sind eng, das wissen wir.«
    Ich schütte das ganze Glas auf drei Schluck in mich hinein, und irgendwer nimmt es mir aus der Hand.
    »Es geht weiter«, ruft der Aufnahmeleiter. Günther Jauch und Oliver stellen sich wieder dorthin, wo sie eben standen.
    »Läuft«, ruft der Aufnahmeleiter, und sie laufen zu ihren Stühlen.
    Ich bin wieder ganz ich selbst, fühle mich spitze und habe daher jetzt leider auch Gelegenheit, mir schlimme Vorwürfe zu machen. Das darf nicht noch mal passieren. Ich bin ein Virtuose auf dem Touchscreen, das habe ich geübt, auf Etiennes iPad, und ich habe ziemlich viel Ahnung von ziemlich vielen Dingen. Die nächste Frage gehört mir, jawoll. Mir bleibt nur zu hoffen, dass Oliver recht schnell den Stuhl wieder freigibt, auf dem er in kaum zwei Metern Entfernung vor mir sitzt. Mit seiner jugendlichen, unfundierten Klugscheißerei hat er es immerhin bereits so weit gebracht, dass Günther Jauch ihn leidenschaftlich zu verachten beginnt. Sehr gut für mich. Den Publikumsjoker hat er schon bei der 500-Euro-Frage verballert, jetzt kommt die 4000-Euro-Frage. Herr Jauch liest vor:

    Die Sache ist vollkommen klar. Vielleicht sollte ich irgendwas mit Telepathie probieren, um Oliver Miss Marple einzureden, was das Dämlichste wäre, das man nehmen kann. Miss Marple hatte keine zehn Filme.
    »Hm«, sagt Oliver.
    »Tja, das lernt man nicht im Physikunterricht und beim Slacklinen«, sagt Herr Jauch. Oliver hat schon ein bisschen was über seine Hobbys und Vorlieben erzählt.
    »Was haben Sie denn als Kind so im Fernsehen gesehen? Also so vor fünf Jahren?«, fragt Herr Jauch. Das Publikum lacht. Oliver antwortet wahrheitsgemäß mit »Pokémon«, das Publikum lacht noch mal. Er hat überhaupt keine Ahnung und nimmt den Fifty-Fifty-Joker. Es bleiben Derrick und Columbo. Ha! Ausgerechnet die beiden, die tatsächlich lang laufende Serien waren. Aber das weiß Oliver nicht. Was ich Herrn Jauch alles erzählen könnte, wenn ich jetzt ein Stück weiter vorne säße! Dass Derrick zu

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