Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
Beginn ein Abklatsch von Columbo war, zum Beispiel. Bei den ersten Derrick-Folgen wusste der Zuschauer schon zu Beginn, wer der Mörder ist, genauso wie bei Columbo. Das wurde dann allerdings relativ schnell geändert, weil das deutsche Publikum in den Siebzigern eben nichts mit Howcatchem-Krimis anfangen konnte, in denen es, wie der Name schon sagt, darum geht, wie genau der Mörder dingfest gemacht wird. Die Deutschen wollen immer nur Whodunit-Krimis und selbst mitraten, wer der Mörder ist. Das alles hätte ich Herrn Jauch locker vorbeten und mir damit Respekt verdienen können. Ich habe alle Derrick-Staffeln zu Hause. Und deswegen weiß ich auch, dass Derrick natürlich die richtige Antwort ist. Oliver ist da anderer Meinung, weil er Derrick überhaupt nicht kennt und ihn für eine Zeichentrickfigur hält. Herr Jauch hat seine Erziehungsbemühungen mit ihm aufgegeben und lässt ihn abstürzen. Oliver geht mit 500 Euro und hängenden Schultern aus dem Studio. Meine Chance. Umbaupause.
»Mal sehen, ob Sie das besser hinkriegen«, sagt Herr Jauch und zwinkert unbestimmt in unsere Richtung. Ich habe mittlerweile begriffen, was die große Digitaluhr mit den roten Ziffern zu bedeuten hat, die an der für die Fernsehzuschauer unsichtbaren Seite des Studios steht. Da sie immer angehalten wird, wenn es Umbaupausen gibt, muss es sich wohl um die verbleibende Sendezeit handeln. Oliver war wirklich flott unterwegs, wir haben noch eine halbe Stunde. Ich atme tief durch und fühle mich frisch und bereit, endlich zuzuschlagen. Die Auswahlfrage erscheint:
Ui. Das werden mehr als zwei Sekunden, denke ich, während ich die korrekte Lösung eintippe. Aber egal, die anderen werden es sowieso nicht hinkriegen: BCAD .
»Ich bin gespannt, wer das hinbekommen hat«, sagt Günther Jauch und verliest die richtige Lösung, nämlich meine. Ich wippe schon auf meinem Stuhl hin und her, um gleich voller Elan aufzuspringen.
»Zwei haben es gewusst, und der Schnellste war Otto Viersen!«
» JAAAAAA «, schreit Otto und reißt die Arme nach oben. Seine Gattin juchzt hörbar auf. Mir ist, als würde mir mein Stuhl zu groß. Ich schrumpfe. Ausgerechnet dieser hinterhältige, verschlagene, nach einem ganzen Raucherabteil stinkende, arrrrgh … Umbaupause.
Meine Laune ist besser geworden, seit ich mir sicher bin, noch eine weitere Chance zu bekommen. Otto stellt sich als ziemlich beschränkt heraus, was Wortspiele angeht, und die können nun mal unter den niedrigen Fragen auftauchen. Außerdem will er sich seine Joker »für weiter oben« aufsparen. Ich setze all meine Kohle, die ich später gewinnen werde, darauf, dass es für ihn kein »weiter oben« geben wird. Die 300-Euro-Frage hat er nicht mal kapiert, nachdem er die Antwort richtig erraten hatte. Das kann nicht lange gut gehen. Wir hören die 500-Euro-Frage:
Nachdem Otto die Frage lange stumm betrachtet und Herr Jauch Ottos Frau zwischenzeitlich ein Kompliment für ihr blaues Kleid gemacht hat, geht Otto der Sache auf den Grund, indem er laut vorliest: »Ko. Rin. Ten. Ka. Ka.«
»Sie haben noch vier Joker«, sagt Herr Jauch.
»Da ist nie und nimmer ein H drin. Was soll ein H da drin?«, sagt Otto.
»Ist das eine … rhetorische Frage?«, fragt Herr Jauch.
Ein paar Zuschauer kichern unterdrückt, um die anderen wissen zu lassen, dass sie den Gag kapiert haben. Otto hat nichts kapiert.
»Da ist kein H drin. Ich nehme A.«
»Vielleicht wollen Sie die H-Frage ans Publikum weitergeben?«, schlägt Herr Jauch vor.
Otto verschränkt die Arme und verfällt in einen sturen Tonfall, in dem auch ein klassisches »Wir machen das so, weil wir es schon immer so gemacht haben« herrlich vorstellbar wäre.
»Ich nehme A.«
»Ohne Joker?«
»Ich nehme A.«
»Sicher?«
»Ich nehme A.«
Der gute Herr Jauch gibt seine Anstrengungen auf.
»Dann loggen wir mal A ein, wenn Sie unbedingt wollen.«
Ich nehme mir vor, Otto später zu sagen, dass ich es auch nicht gewusst hätte, um ihn ein wenig zu trösten. Den Idioten. Vielleicht rauche ich sogar eine Zigarette mit ihm. Jetzt bin ich dran. Die Alte mit dem Riesenkopf und die fränkische Hausfrau sind noch übrig – es ist, als wäre ich Usain Bolt und würde bei den Paralympics mitlaufen. Umbaupause. Noch zweiundzwanzig Minuten übrig.
Es geht weiter. Herr Jauch ergreift das Wort: »Das erleben wir selten. Noch drei Kandidaten übrig, und wir hören die dritte Auswahlfrage in dieser Ausgabe.«
Es wird auch die letzte sein. Ich geh von
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