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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ritter
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diesem Stuhl nicht mehr runter, wenn ich erst mal drauf bin.

    Hätte ich mich am Anfang mal unter Kontrolle gehabt, dann hätte ich es schon mit den Scheißbremerstadtmusikanten geschafft. Jetzt kommen wirklich schwierige Fragen. Längengrade … aber … der Clou ist, dass die Antwort ABCD ist, ha! Eingeloggt. Ich sehe hoch. Sabine loggt jetzt erst ein, Cordula drückt noch mit großer Genauigkeit auf dem Monitor herum. Geschafft!
    »Das war wirklich eine außergewöhnlich knifflige Auswahlfrage«, sagt Herr Jauch. »Ich müsste da länger überlegen. Die richtige Lösung ist: Prag, Wien …«
    Was?
    »Stockholm, Warschau.«
    Wenn ich das nicht richtig habe, kann es keiner richtig haben.
    »Eine richtige Antwort! Sabine Füchsla!«
    Scheiße, das war’s. Auf der Uhr sind es noch siebzehn Minuten. Da müsste sich Sabine, die sich so gut mit Längengraden auskennt …
    »Ich hab das einfach geraten.«
    … da müsste sich Sabine, die so gut Zufallstreffer landen kann, schon sehr dumm anstellen.
    »Wir starten mit der 50-Euro-Frage.«
    Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen. Ich will das nicht sehen. Ich brauche irgendeine Ablenkung. Ich habe es doch so weit geschafft. Ich sitze hier. Schon seit die erste Chance da war und spätestens seit ich die Zusage bekommen habe, war ich rund um die Uhr wie auf Speed und Ecstasy zusammen. So stelle ich mir den Zustand zumindest vor, wenn man auf Speed und Ecstasy zusammen ist. Oder ist das das Gleiche? Mit Drogen kenne ich mich gar nicht so aus, eines der wenigen Gebiete, auf denen ich nicht firm bin. Außer Zigaretten und Alkohol hab ich nie was genommen. Nur einmal, als Herr Müller Muffins gebacken hat. Da war irgendwas drin, und ich fand es gar nicht schlecht. Da habe ich sogar ein bisschen Halluzinationen bekommen. Vielleicht war das vorhin am Anfang der Sendung eine Art Flashback davon. Dann wäre letztendlich Herr Müller schuld, dass ich es nicht geschafft habe. Dieses Schwein! Dieses mir Drogen verabreichende Schwein! Ich summe mir eine Melodie vor, die ich aus der Werbung kenne, um mich zu beruhigen.
    »Dallmayr Prodomo, vollendet veredelter Spitzenkaffee.« Didum didum didum. Im Münchner Kaffeehaus werden die Bohnen von Hand geröstet. Didum didum didum.
    Die Wer-wird-Millionär -Musik unterbricht mich. Sabine hat 500 geschafft, auf der Uhr stehen noch elf Minuten. Ich versinke wieder.
    Didum didum didum. Die schöne Kaffeebohnenverkäuferin streicht sich offensiv lächelnd über ihren Blusenkragenknick. Didum didum didum. »Schön, dass es so etwas Gutes noch gibt.« Didum didum didum.
    Als ich wieder aufschaue, glaube ich, Panik in Günther Jauchs Gesicht zu erkennen. Auf der Sendungsuhr stehen noch sieben Minuten. Darüber, auf der LED -Tafel, auf der das Publikum und wir die Fragen mitlesen können, sehe ich Eigenartiges. Ein Feld ist gelb. Das heißt, Sabine hat eine Antwort gegeben. Es ist die falsche.

    Sabine hat tatsächlich »KPD und SED« eingeloggt. Wie es dazu kommen konnte, habe ich nicht mitgekriegt. Die Panik, die ich bei Günther Jauch auszumachen glaube, ist wohl nicht primär der falschen Antwort geschuldet, sondern wohl eher der verbleibenden Zeit. Womöglich hat Sabine nichts allzu Spannendes zu erzählen gehabt und jetzt, nachdem sie eingeloggt hat, kann er nicht länger mit ihr plaudern. Die letzte Werbepause muss noch eingeschoben werden, und danach gibt es nur noch zwei Minuten Nettosendezeit. Also müssen noch fünf Minuten gefüllt werden. Das bedeutet: Wir spielen noch eine Auswahlfrage und endlich, endlich bin ich dran. Es ist, als würde man im kalten Winter ein Fenster öffnen, nachdem man drei Wochen lang vor dem Kamin gesessen hat. Ich spüre frisches Leben in mir.
    Nach der Werbung und nachdem Sabine Füchsla erklärt hat, dass sie von Politik nichts versteht, weil sie eben immer CSU wählt, aber erstaunlich heiter das Studio verlassen hat, legt Günther Jauch die Situation genauso dar, wie ich es mir gedacht habe.
    »Das hatten wir noch nie. Alle sind mit fünfhundert Euro oder nichts nach Hause gegangen. Zwei freuen sich darüber. Wir spielen erstmals in der Geschichte dieser Sendung eine vierte Auswahlfrage.«
    Montag, 19.22
    Die Aufzeichnung ist vorbei. Ich möchte nicht darüber reden.

Zweiter Teil

Mittwoch, 13 Uhr
    Ich wurde sitzen gelassen. Der Ausdruck hat eine ganz neue Bedeutung für mich gewonnen. Ich bin noch nicht drüber weg. Nein, noch lange nicht.
    Der Abend in Köln war eine Katastrophe, auch nach der Sendung.

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